Holzinger’s Got Talent

Ein fiebertraumartiger Abend mit Tänzen in die völlige Ekstase: Das war Florentina Holzingers „Ophelia’s Got Talent“ im Volkstheater.

(c) Gordon Welters

Florentina Holzinger hat definitiv ein Talent dafür, es sich in der Ungemütlichkeit gemütlich zu machen und versteht es, die Zuschauer*innen damit in völlige Ekstase zu versetzen. So auch dieses Mal mit Ophelia’s Got Talent, veranstaltet vom Tanzquartier Wien in den Räumlichkeiten des Volkstheaters.

Die gebürtige Wienerin ist eine bekannte Größe in der Performanceszene. Es ist bereits allseits bekannt, dass sie ihre Performances in Provokation, Normverletzungen und Eskalation tränkt. Denn: Für die Choreografin hat Etikette keine Relevanz. Den Finger am Puls der Zeit, schafft sie es dennoch jedes Mal aufs Neue, die Zuschauerschaft ins kalte Wasser zu schmeißen. Dieses Mal sogar wortwörtlich. Dafür wurde die Bühne des Volkstheaters kurzerhand mit zwei Aquarien und einem Wassertank geschmückt, in welchen sich das multidisziplinäre Ensemble windet.

Spektakel im moralischen Gewand

Wasser ist endlos, unaufhörlich, anpassungsfähig, lebensnotwendig und – vor allem – ein in vergangener Kulturhistorie oft benutztes Motiv und Sinnbild für Weiblichkeit. Holziger zitiert dabei eine Fülle an Künstler*innen, die sich genau diesem Motiv bedient haben, beispielsweise durch Referenzen zu Schuberts Forelle oder Hamlets Figur der Ophelia, wie der Titel bereits verrät. Weiblichkeit und Wasser werden hierbei als dehnbare Begriffe behandelt und die Ambivalenz zwischen Fragilität und Macht wird sichtbar gemacht.

Ganz am Zahn der Zeit macht sich gleichzeitig bedrückende Weltuntergangsstimmung bemerkbar. Holzinger macht mit Anspielungen auf die desolate Welt und eindringlichen Worten über die prekäre Situation auf die Bedrohung des Klimawandels aufmerksam. Die Performance wird somit zu einem Spektakel im moralischen Gewand.

Ganz ohne Gewand hingegen blickt das Ensemble in den Venusspiegel, mehr jedoch noch in den Spiegel der Gesellschaft. Die Nacktheit steht für Ehrlichkeit und die Verletzlichkeit des Menschen in seiner Bloßheit und Wahrhaftigkeit, was durch die Ambiguität dessen den Frauen wiederum Macht verleiht. Der Einsatz von Wasser dient also einerseits als feministisches Symbol, stellt jedoch andererseits auch eine Möglichkeit für die Versöhnung mit dem Tod dar. Während Blut auf der Oberfläche des sonst so reinen und fast schon unschuldigen Wassers glitzert, wird die Natur des Menschen deromantisiert.

Eiserner Drill, Leistungssport und Gelächter

Vom Eintauchen in philosophisch und psychologische Tiefen abgesehen, schafft es Holzinger erneut, die Abgründe der Menschheit, das Patriarchat und die Zerrissenheit der Zeit nicht zuletzt humoristisch darzulegen. Gleich zu Beginn wird eine Talentshow namens Ophelia’s Got Talent simuliert, welche die Schau- und Angstlust der Gesellschaft belächelt. Sensationslust als Überlebensmittel der Gesellschaft wird auf einer Metaebene in Frage gestellt. Moderiert wird das Ganze von einem betrunkenen Captain Hook, gespielt von Annina Machaz, welcher auf humorvolle Weise einen toxisch männlichen Rüpel symbolisiert und es somit schafft, den Zuschauer*innen Gelächter zu entlocken.

Wie erwartet, betreibt das diverse Ensemble Leistungssport und beweist damit mehr als nur Einsatzbereitschaft und Talent. Ob beim Stepptanzen, Poledance an einem Anker, dem Apnoe-Tauchen, dem Versuch einer Entfesselung unter Wasser oder bei einer Orgie mit einem Helikopter, in welchem die Performance ihren Höhepunkt findet – die Gruppe ist ein eingespieltes Team und bildet gerade in ihrer Diversität eine Einheit.

Schwerelosigkeit und Ohnmacht

Von dem Gefühl der Schwerelosigkeit bis zum Gefühl der Ohnmacht – als Zuschauer*in wird man mit einer Wucht von Gefühlen konfrontiert. Florentina Holzinger ist es erneut gelungen, eine bilderflutartige, exzessive Show zu inszenieren, der man als Zuschauer*in einfach verfallen muss. Der langanhaltende Applaus und die Jubelrufe am Ende sind ganz klar berechtigt und wohlverdient. Holzinger ist es gelungen, die Essenz des Menschseins in nur zweieinhalb Stunden in Frage zu stellen und somit hoffentlich die Kulturszene weiterhin nachhaltig zu beeinflussen.

Ophelia’s Got Talent wurde zum diesjährigen Berliner Theatertreffen eingeladen, wo es am 13. Mai dargeboten wird. Im Herbst kommt die Inszenierung zurück nach Wien.

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