Lustige? Vergewaltigte Witwe!

So viel Me-Too, dass es wehtut beim Zuschauen: Die Verfilmung von Lehárs Die lustige Witwe aus 1925 mit live Musik im Konzerthaus.

Männer, die sich alles erlauben /// Metro-Goldwyn-Mayer ©

Eine Version dieses Artikels ist in der ‘Presse’ erschienen.

Frauen sind hilflose Beute und werden von Männern erst mit gierigen Augen angestarrt, dann gegen ihren Willen geküsst und begrabscht: Erich von Stroheim inszenierte in seiner Verfilmung von Lehárs Die lustige Witwe (1925) überspitzt eine haarsträubend toxisch männlich dominierte Gesellschaft. Wollte er damit sein Publikum auf das Problem der frei beutenden Männermonster hinweisen? Mit heutigen Augen ist es jedenfalls verstörend, so viele gewalttätige Me-Too-Fälle in einer vermeintlichen Komödie zu sehen. Von Stroheims Story ist eine sehr freie Adaption der Operette, sie erzählt im ersten Teil die Vorgeschichte des Originals, wie sich Danilo und die noch nicht verwitwete Protagonistin verlieben und nicht heiraten dürfen. Wobei Verlieben der falsche Ausdruck ist, nach all den Entführungsversuchen und Fast-Vergewaltigungen leidet sie wohl eher unter dem Stockholm-Syndrom als unter Amors Pfeilen. Im zweiten Teil wird aus der Komödie ein veritables Liebesdrama, in dem Danilo mit seinem noch skrupelloseren Cousin um die Gunst seiner Liebsten kämpft.

Der 2023 neu komponierte Soundtrack von Tobias Schwencke integriert gekonnt Lehár-Walzer, ohne zu Retro-Kitsch zu verkommen. Schade nur, dass das renommierte Hamburger Ensemble Resonanz die Lehár-Fragmente ziemlich jämmerlich wiedergab. Das hatte nichts damit zu tun, dass sie im hohen Norden nicht an unsere heilige Wiener Walzertradition angebunden sind, sondern lag schlicht an den schlecht intonierenden Geigen. Die Schlagzeugabteilung war dafür exzellent und auch die Streicher woben spannungsvolle Klangteppiche, wenn sie gerade nicht im Dreivierteltakt nach den Tönen suchten. Das Ensemble ist bekannt dafür, sowohl Neue Musik als auch klassisches Repertoire regelmäßig zu spielen, die lieblosen Walzerversuche sprachen dafür, dass sie lieber zeitgenössisch unterwegs sind. Dirigent Christoph Altstaedt, Bruder des Cellostars Nicolas und im Nebenberuf Arzt, hielt das Ensemble exakt zusammen, was besonders bei einer Live-Filmbegleitung die wichtigste Aufgabe ist.

Aggressiver Sexismus, immerhin von der Musik kommentiert

Komponist Schwencke ließ den aggressiven Sexismus des Films nicht unkommentiert. Er unterlegte den lüsternen, testosterongeladenen Blick Danilos mit einer bedrohlichen Basskulisse. So war es noch verständlicher, warum die Protagonistin, die bei von Stroheim eine irische Revuetänzerin namens Sally O’Hara ist, Angst vor ihm hatte und in Tränen ausbrach. Die Zeitreisen, die das Konzerthaus mit den Stummfilmen von „Film + Musik live“ anbietet, sind nicht nur unterhaltsam, sie taugen auch als Erinnerung daran, wie weit wir als Gesellschaft gekommen sind – und wie weit der Weg noch ist weg von der toxischen Männlichkeit, dessen Auswirkungen wir in der Großpolitik bei Trump, Musk, Putin und Co. und leider auch hierzulande immer noch täglich mitbekommen.

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