“Club Zero”: Jessica Hausner im Interview

Die Filmemacherin über Radikalisierung, Machtdynamiken und Musik in ihrem neuen Film.

Jessica Hausners Club Zero startet am 17.11. in den Kinos /// (c) Filmladen, APA/Georg Hochmuth

Nach nationalen und internationalen Premieren auf etlichen Filmfestivals kommt Jessica Hausners Club Zero nun in die Kinos. In der Woche vor dem heutigen Kinostart haben wir uns mit ihr unterhalten.

Bohema: Zuallererst: vielen Dank für das Gespräch! Wie war der Entstehungsprozess? Vor allem im Bezug auf Jugendliche, die Institution der Schule und die Thematik der Gruppendynamik.

Jessica Hausner: Zuerst war die Idee da, einen Film über Manipulation zu machen. Daher war die Idee von Anfang an, dass  eine Lehrerin  eine Gruppe von Schüler*innen beeinflusst, manipuliert oder sogar verführt, was schließlich zu einer Radikalisierung führt.  Ausgehend von einer Ernährungslehre, die man zunächst durchaus nachvollziehen kann, steigert sich die Lehre  zu einer Ideologie und bekommt etwas Sektenhaftes und Extremistisches. Ich wollte zeigen, wie der Geist manipulierbar ist und wie eine Idee übermächtig werden kann, obwohl sie absurd ist – die Leute, die dabei sind, glauben aber dran.

Ich fand diesen Schauplatz Schule auch deswegen interessant, weil sich da auch die Frage in unserer Gesellschaft stellt: Wer trägt da die Verantwortung für die Jugendlichen in einer Gesellschaft, wo Erwachsene auch sehr viel arbeiten müssen und den ganzen Tag in ihrem Job stehen und Lehrer*innen eine sehr große Verantwortung umgehängt bekommen und dafür nicht genug respektiert und entlohnt werden?

B: An welchem Punkt kam das Motiv des Essens dazu?

JH: Ich habe schon ein Thema gesucht, das in unsrem Zeitgeist liegt und ich habe das Gefühl, Ernährung wird tatsächlich stärker ideologisiert und über Ernährung definiert man sich auch stärker. Gerade auch das Thema Klimaschutz hat viel mit Ernährung zu tun. Aber auch  Gesundheit und Selbstoptimierung hängen mit der Ernährung zusammen. Das Thema Ernährung ist fast schon ein belastetes Thema in unserer Zeit. Es betrifft auch jeden, weil essen muss man und es ist innerhalb der Gesellschaft ein sehr wichtiger Moment als soziale Interaktion. Die Mahlzeit, zu der man sich verabredet oder wenn die Familie abends zum Essen zusammenkommt – wenn da jemand das Essen verweigert, fühlen sich die anderen womöglich  angegriffen oder infrage gestellt. Es ist zugleich ein existentielles und tabuisiertes Thema.

(c) Filmladen

B: Gab es, um auf das Thema der Machtdynamik zurückzukommen, Inspiration bei anderen Filmen in ähnlichem Setting, wie „Die Welle“ zum Beispiel?

JH: Nein, nicht wirklich – es ist auch schon eine Zeit her, dass ich den Film gesehen habe. Das ist halt eher didaktisch aufgerollt und ich fokussiere mich in meinen Filmen lieber  darauf, Widersprüchlichkeit darzustellen. Das Schmerzhafte an dem Film Club Zero ist , dass die Jugendlichen wirklich daran glauben, dass sie das Richtige machen. Vor allem auch, dass der Film nicht so endet, dass sie ihren Irrtum einsehen und  sagen „ah ja, das war ein Fehler“, sondern die Jugendlichen bleiben dabei, in ihrer Wahrnehmung handeln sie richtig – das ist Radikalisierung. Das ist eine Überzeugung, die durch Zuspruch oder Argumente nicht geändert werden kann. Das hat mich  interessiert, dass es nicht mehr möglich ist, sie zurückzuholen, weil sie wirklich von ihrem Standpunkt überzeugt sind. Das ist schwer auszuhalten am Ende.

B: War die Kapitalismuskritik, die in einzelnen Einstellungen immer wieder mitschwingt, auch von Anfang an geplant oder ist das dann mit dem Gedanken des vielen Arbeiten entstanden?

JH: Wenn ich über Filmgeschichten nachdenke, versuche ich auch immer unsere Zeit zu reflektieren bzw. auch uns als Gesellschaft. Wir leben eben in einer kapitalistischen Gesellschaft und das beschäftigt mich sehr. In dem Sinne, wie sehr das unser Leben, unsere Abhängigkeit, unser Verhalten und unsere Machtstrukturen prägt.
Das versuche ich in jeden meiner Filme einzubauen. Wie geht die Machtpyramide? Wer ist von wem abhängig und muss deswegen wo mitmachen?

B: Der Soundtrack von Club Zero ist sehr besonders. Warum gibt es genau 2 Lieder in dem Film, warum diese und wie kam der spezielle Rhythmus des Filmes zustande?

JH: Ich glaube die 2 Lieder waren tatsächlich schon im Drehbuch, einmal „Silent Night Holy Night“ von Mahalia Jackson, was viele Leute tatsächlich an Weihnachten hören und einmal Scott Mathews‘ „I wanna dance with somebody“. An diese Songs habe ich beim Schreiben schon gedacht, ich habe aber auch mit dem Filmkomponisten Markus Binder während des Drehbuchschreibens gesprochen, dass ich mir Percussion-Elemente vorstelle und wir haben gemeinsam auch rituelle Trommelmusik angehört von Voodoo-Ritualen oder auch aus dem Buddhismus, wodurch wir zu den unterschiedlichsten Trommel-Arten kamen und auch den verschiedenen „Ohm“-Varianten. Da Markus Binder ja Perkussionist ist, hat er diese Drum-Sets erfunden und wir haben viel über Stimmung gesprochen. Ob es nun eine Bedrohliche oder seltsame Stimmung geben soll. Das wichtige war für mich, dass ein ritueller Rhythmus durch die Trommeln entsteht und auch eine Musik, die keine typische Filmmusik ergibt, die einem bereits zeigt, weinen zu müssen oder weiß, man muss jetzt Angst haben. Sondern eher eigenartige Musik, die wie ein eigener Tonfall zu den Szenen hinzugefügt wird. Es soll die Emotion zwar auch verstärkt werden, aber auch die Infragestellung, weil es nicht die herkömmliche Musik ist, die man dafür nutzt.

B: Manche Fragen, wie die, ob Miss Novak im Club Zero alleine handelt oder da mehr Personen inkludiert sind, finden im Film keine Antwort. Was wollen Sie damit aussagen?

JH: Stimmt, das wird nie beantwortet, das ist auch Absicht so. Bei dem Schrein benutzt Miss Novak auch absichtlich den Wortlaut „Why have you forsaken me, allmighty mother“ – das ist der Wortlaut, den Jesus am Kreuz gesagt hat: „Warum hast du mich verlassen, Vater?“. Da kommt auch der christliche Weihnachtssongs „Stille Nacht, heilige Nacht“ ins Spiel, der seinen Höhepunkt hat mit „Christ is home“. Ich wollte absichtlich die Verbindung zur christlichen Religion herstellen, als die Ideologie, mit der unsere Gesellschaft die letzten Jahrhunderte verbracht hat und die uns alle immer noch prägt. Es war mir wichtig den Bezug herzustellen, um  nicht nur  irgendeine verrückte Nicht-Esser-Sekte zu sehen, sondern zu kommunizieren, dass jede Form der Ideologie die Gefahr des Extremismus birgt.

Lena Kerschbaummayr

Floats around between film-sets, -festivals and photography after her study in filmproduction. You‘ll never know which country she‘s currently in.

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