Kater & Basquiat

Was die Ausstellung Basquiat. Die Retrospektive in der Albertina mit einem Katzencafé gemein hat und warum man als Besucher*in mehr mitnehmen sollte, als nur einige Schnappschüsse der Kunst, erklärt unser Autor hier.

Jean-Michel Basquiat (c)

Sonntag, Regen und leicht verkatert, da ist wohl das Museum der logische Schluss der fomo-bedingten Überlegungen, was man unternehmen soll. Und seit einiger Zeit gibt es eine Ausstellung in der Albertina, der man nicht entgehen kann: Basquiat. Die Retrospektive.
Jean-Michel Basquiat ist einer der populärsten Künstler unserer Zeit. Obwohl der New Yorker Künstler erst 1960 geboren wurde und somit heute um die 62 Jahre alt wäre, starb er im Alter von nur 27 Jahren an einer Heroinüberdosis. Doch wer ist dieser Künstler, der mit nur so einer kurzen Lebens- und Schaffenszeit eine derartige Popularität erlangt hat, welcher mit einem seiner Werke auf der Liste der teuersten je verkauften Gemälde mit 110 Mio. Dollar einen Rekordwert erlangte?

Jean-Michel Basquiat, Light Blue Movers, 1987, Acryl und Ölkreide auf Leinwand /// Nicola Erni Collection, Reto Pedrini Photography © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York

Nur so viel dazu: Basquiat konnte nach eigenen Aussagen nicht malen und tat es trotzdem. Schwarze Künstler*innen wurden und werden häufig immer noch in der westlichen Kunstwelt übersehen, genau wie ihre Probleme. Basquiat malte als Person Of Colour über diese Probleme - und die Kunstwelt interessierte sich tatsächlich trotzdem. Interessant sind auch seine Graffitis. Basquiat brachte poetische und sozialkritische Sprüche an Hauswände, natürlich nur zufällig in der Nähe der teuren Galerien. Basquiat hatte eine enorme Karriere vor sich, wurde weltweit geachtet und weist bis heute eine immense Relevanz auf, auch wenn er durch seinen frühen Tod viel von seiner Wirkung selbst nicht miterleben konnte.

Ich habe die Bilder in der Albertina allesamt großartig gefunden und bin schon seit Jahren ein riesiger Fan von Basquiat. Wer also wissen möchte, ob sich ein Besuch lohnt, dem sage ich: ja, geht in die Ausstellung. Auch die Texte neben den Bildern sind bemerkenswert. Was mich an dieser Ausstellung aber am meisten interessiert und fasziniert hat, waren die Museumsbesucher*innen.

Jean-Michel Basquiat, Untitled (Infantry), 1983, Acryl auf Leinwand /// Nicola Erni Collection, Reto Pedrini Photography © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York

Wer schon einmal in der Albertina war, kennt das Ambiente. 1. Bezirk, untergebracht in einem alten Palais der Habsburger, Marmor, Gold und Säulen. Ähnlich das Publikum, hier lässt sich doch ein hoher, meist betagterer Teil an Besucher*innen ausmachen, welche gut gekleidet sind, weiß und mitunter mehr Gold auf ihrem Körper haben, als eine von Klimt gemalte Figur. Als ich nach der Ausstellung im Museumsshop die Menschen beobachtete, konnte ich zum Teil nicht ganz verstehen, wie wir uns zuvor die selbe Ausstellung angeschaut haben konnten. Die Ausstellung eines Künstlers, welcher größtenteils im Drogenrausch gemalt hat, Polizeigewalt und Depression darstellte, sein eigenes Leben in seiner Kunst verarbeitete und etliche Male auf Türen, Fenster oder Holzbretter gemalt hat, welche er auf der Straße gefunden hatte, weil er sich Leinwände nicht leisten konnte. Basquiat blieb seinen afroamerikanischen Wurzeln immer treu, in seinen Bildern spiegeln sich häufig Rassenkonflikte in Amerika, die Kultur der afrikanischen Diaspora und sein eigenes Leben wider. Selbst wenn man nichts mit seiner Kunst oder Kunst generell anfangen kann, kann so etwas nicht an einem vorbeigehen, ohne einen zu berühren und zu beschäftigen, richtig?
In Museen wirken viele Menschen jedoch oft so, als würden sie den Hintergründen der Kunst keine Chance zur Beachtung schenken, wenn sie mit dem stets gleichen Gesichtsausdruck von Bild zu Bild hetzen.
Ich stand vor einem Bild, welches wie eine riesige Explosion an Emotionen, Sorgen und traumatischen Erlebnissen aussah. Mit verlaufener Farbe, Strichmännchen, Un-Proportionen und durchgestrichenen Worten. Ich schaute nach links. Dort stand ein Mann, ich hätte ihn so auch bei einem Geschäftsessen im Fieglmüller oder einem Einkauf im 1. Bezirk treffen können. Er sah erfreulicher Weise sehr interessiert aus - und mir kam ein Gedanke.

Jean-Michel Basquiat, Self Portrait, 1983, Öl auf Papier und Holz /// Collection Thaddaeus Ropac, London · Paris · Salzburg · Seoul | Photo: Ulrich Ghezzi | © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York

Wenn man in ein Katzen-Café geht, möchte man die süßen Katzen streicheln, man möchte sie beobachten, kuscheln und lieb haben. Man möchte aber nicht mit ihnen zum Tierarzt gehen, ihre Toilette saubermachen oder Stunden lang nach ihnen suchen, wenn sie verloren gehen. Man möchte die guten Seiten genießen, aber man möchte keine Verantwortung übernehmen.

Basquiat war einer der ersten Schwarzen Künstler, welcher es in der weiß-dominierten Kunstwelt zu immensem Erfolg und Ansehen schaffte. Wie bell hooks in einem Essay schrieb (unbedingte Leseempfehlung!), begab Basquiat sich in den Balance-Akt, einerseits Kunst zu schaffen, welche in die weiß dominierte Gesellschaft passte und sich selbst in diese einzufügen, seine afroamerikanische Herkunft jedoch nicht zu untergraben und sie in seine Kunst einfließen zu lassen. Basquiat habe, so hooks, in seinen Werken die Unfähigkeit des weißen Publikums aufgezeigt, die Vorstellung ihrer Überlegenheit loszulassen, obwohl diese ihre Sichtweise begrenzt, und entlarvt einen kollektiven Blick, der mit einer Ästhetik der weißen Vorherrschaft verbunden sei. Dementsprechend ist seine Kunst nur teilweise ohne das Verständnis seiner Lebensrealität als Schwarzer Mann (in einer weißen Kunstwelt) zu lesen - für das gesamte Verständnis muss man bereit sein, den eigenen Blick über den Tellerrand wandern zu lassen.

To see and understand these paintings, one must be willing to accept the tragic dimensions of black life. In “The Fire Next Time”, James Baldwin declared that “for the horrors” of black life “there has been almost no language.” He insisted that it was the privacy of black experience that needed “to be recognized in language.” Basquiat’s work gives that private anguish artistic expression.
— bell hooks

Wenn man sich Fotografien von Basquiat mit anderen Menschen anschaut, die mit ihm zu tun hatten, ist Basquiat meist der einzige Schwarze. Man sieht oft Andy Warhol, Keith Haring, Madonna oder Annina Nosei, seine Galeristin. Alle weiß, alle zu diesem Zeitpunkt schon zumindest sehr gut verdienend. Das gleiche in den Museen. Basquiat ist gewissermaßen dieser Kater, den man sich für die Zeit im Museum auf den Schoß setzt, knuddelt und gern hat. Man erzählt auch gerne von dem Kater, der so putzig war und macht Fotos mit ihm. So ist es ja auch klar, dass man an sich nichts gegen Katzen hat, wenn sie halt putzig sind.

Jean-Michel Basquiat, Untitled, 1983, Siebdruck auf Leinwand /// Nicola Erni Collection, Reto Pedrini Photography © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York

Doch was passiert, wenn man sich wirklich mit den Problematiken befassen muss, welchen diese Bilder großteils entsprungen sind, mit Lösungsansätzen? Oder damit, dass es Menschen im Kunstbereich, welche nicht in das Bild weiß/heteronormativ/männlich/dem Kulturkreis entsprechend passen, bis heute schwerer haben oder als Token verwendet werden? Dann kann das Niedliche des Katers die Arbeit, die er bereitet, oft nicht mehr so leicht aufwiegen.
Wenn man bedenkt, dass Basquiat der einzige Schwarze Künstler ist, der jemals ein Bild über 50 Mio. Euro verkauft hat, wobei Basquiat immer noch US-Amerikaner ist und die Liste keinen einzigen afrikanischen Künstler enthält, dann ist der Kater doch besser im Katzencafé aufgehoben. Dann geht man sonntags lieber in eine Ausstellung, die das Leben eines Schwarzen Künstlers und Rassismus einfängt, macht ein paar schöne Fotos und isst danach ein Stück Sachertorte. 

Als letztes möchte ich mit einem Zitat von Basquiat abschließen, welches gut einfängt, welchen Gedanken man als Besucher*in beim Betrachten der Kunst bei sich tragen sollte:

I start with a picture and then finish it. I don´t think about art when I´m working. I try to think about life.
— Jean-Michel Basquiat
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