Lauwarmer Dylan

Juhu, endlich wider ein Musiker-Biopic! Timothée Chalamet sieht in Like A Complete Unknown aus wie Bob Dylan, er näselt wie Bob Dylan, so richtig ins Rollen kommt der Stein aber nicht.

Ein cooler Typ /// © Searchlight Pictures

Steigen wir ökonomisch ein: vor ca. vier Jahren kaufte Universal Records die kompletten Rechte an Bob Dylans Musikkatalog seinem Urheber für über 300 Millionen Dollar ab. Jetzt, im Jahr 2025, kommt also Like A Complete Unknown in die Kinos - nicht von Universal produziert, vielleicht also ein Zufall, vielleicht nicht. Der Film jedenfalls ist für die Produktionsfirma Searchlight Pictures (die auf Wikipedia im ersten Halbsatz als „independent“ bezeichnet wird, im zweiten dann aber als dem Disney-Konzern angehörig) sowie für Universal ein Glücksfall. Bereits jetzt hat Like A Complete Unknown über 200% seines Budgets eingespielt, gleichzeitig dürfte er - zumindest kurzfristig - für steigende Dylan-Klickzahlen auf Spotify und Co. sorgen. Beides liegt vermutlich an Hauptdarsteller Timothée Chalamet.

Ein lässiger Typ /// © Searchlight Pictures

Vor allem liegt dessen ökonomischer Wert (auch aus Universal-Sicht gesprochen) wohl in seiner Beliebtheit bei jungen Menschen (mehr Insta-Follower als Trump!), die - so wohl die Rechnung - für Dylan (natürlich mit Ausnahmen) schlichtweg zu spät geboren sind. Da mag das Gesicht des Musikers noch so oft das Cover des Rolling Stone zieren. Diese Geldschiebereien als Existenzgrund für Like A Complete Unknown bieten jedenfalls eine Erklärung für den den Fokus des Films. So umfasst dessen „Handlung“ so etwas wie die Origin-Story Dylans: ein junger Bub, der mittellos nach New York kommt, sein Vorbild, die Folk-Legende Woody Guthrie besucht, selbst zum Star wird und sich schließlich des Komplettverrats der Folk-Tradition schuldig macht, indem er zur ‚bösen‘ Seite der Populärmusik wechselt: zu E-Gitarren und Lederjacke. Dylan-Kenner mögen ob dieser Erzählung aufstöhnen, scheint sie doch allzu ausgetreten. Für die aber ist der Film nicht gemacht.

Ein Frauenschwarm aus dem Altkleidercontainer

Dass das Wort „Handlung“, wie aufmerksame Leser*innen erkannt haben, im letzten Absatz in sogenannte Gänsefüßchen gesetzt wurde, liegt daran, dass Like A Complete Unknown an Handlung wenig Interesse zeigt. Ja, da gibt es ein paar Punkte abzuhandeln - eine Affäre mit Joan Baez, etwas mehr als eine Affäre mit Sylvie Russo (in echt Suze Rotolo, am bekanntesten für ihr gemeinsames Coverfoto mit Dylan für sein Album The FreewheelinBob Dylan), Krankenhausbesuche beim siechenden Woody Guthrie.

Vor allem aber ist der Film so etwas wie ein Greatest Hits Album im Schnelldurchlauf: es wird ordentlich der Stein gerollt, die Antworten in den Wind geblowt und so weiter und so fort, vorgetragen von einem Chalamet, der trotz aller nasalen Krächzversuche immerzu Chalamet bleibt, nie hinter Dylan verschwindet, der Dylan vor allem aber als einen immercoolen Vibe anlegt, der als Frauenschwarm aus dem Altkleidercontainer durch Liveclubs tingelt, stets mindestens eine Zigarette im Mund.

Dass der Film keinen großen Wert auf Handlung legt, ist einerseits eine Art Glücksfall, so wird Dylan immerhin keine halbgare Leidensdrucks- oder Geltungsdrangs-Psyche angekleidet. Er schreibt Lieder, diese sind gut, zack ist er ein Star. Gut. Andererseits aber stellt sich - wie bei den meisten Biopics - bei so wenig Film die Frage, was ein Film (die ökonomischen Klamüsereien ausgeklammert) eigentlich soll, der in großen Teilen aus solide vorgetragenen Coverversionen von Dylan-Songs besteht und diese mit ein bisschen Liebesgeschichte und heruntergebrochener Popmusik-Geschichte (Folk/Akustik vs. böse Elektriker) verbindet.

Was ein Typ: Dylan-Chalamet umgarnt von Joan Baez (rechts, Monica Barbaro) /// © Searchlight Pictures

Frage der Ambition

Nun ist das Aufstellen einer Formel dessen, was ein Film soll, ein wenig quatschig bzw. die Gründe dafür, warum der Gang ins Kino angetreten wird, von Person zu Person andere, dennoch stellt sich die Frage gerade bei der Verfilmung der Musik eines Künstlers, dessen Liveauftritte in massiger Stückzahl auf YouTube verfügbar sind und über den (und mit dem) es bereits mehrere interessantere Filme in dokumentarischer und fiktionaler Form gibt - allen voran den tollen Direct-Cinema-Mitgründungsfilm Dont Look Back (übrigens, psst, auch auf YouTube verfügbar), aber auch etwa Filme von Todd Haynes und Martin Scorsese.

Während Haynes’ Film Im Not There (2007), wohl der bekannteste Dylan-Spielfilm, mit seiner eigenwilligen Entscheidung, gleich sechs Hauptdarsteller*innen als Dylan zu besetzen, versucht, ein kaleidoskopisches „Porträt des Künstlers als Pop-Phantom“ (Der Spiegel) zu entwerfen - oder eben auch dem ‚klassischen Biopic‘ mitsamt Authentizitäts- und Personenkultfimmel eine Absage zu erteilen, kann man A Complete Unknown schlichtweg Ambitionslosigkeit vorwerfen.

Ganz unterhaltsam sind James Mangolds immerhin 140 Minuten schon, manchmal, bei besonders epischen Dylan-Auftritten, mag sich gar eine kleine Gänsehaut auf den Unterarm verirren, letztlich bietet der Film als blässliche Auf-Nummer-Sicher-Verfilmung jedoch weder irgendetwas, an dem man sich stoßen könnte, noch auch nur eine einzige überraschende Idee. Denkmalpflege ist das, ein Versuch, die Dylan-Fahne an eine jüngere Generation weiterzugeben. Das ist okay, das ist vielleicht nett gedacht, sonderlich spannend ist es als Film nicht.

Als Chalamet, äh, Dylan, gen Ende seines Films auf seinem legendären Electric-Turn-Konzert beim Newport-Festival 1965 konsequent und geplant seine Fans mit E-Gitarre und Schlagzeug zur Schnappatmung treibt, aber eben auch herausfordert, eine Reaktion, vielleicht ein Umdenken erzeugt, wippt der Sitznachbar mit dem Fuß. Was bleibt, ist die Musik, die - als Dylan-Freund vielleicht eine gute Nachricht - neue Zielgruppen erreichen wird. Der Film dient eher als Vehikel, verpufft in seiner ausbleibenden Eigenständigkeit.

Like A Complete Unknown läuft ab sofort in zahllosen österreichischen Kinos. Spielzeiten findet ihr hier.

Next
Next

Fake-Friend oder doch bloß gekauft?