Lärm. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Mein erster Castorf oder bin ich zu altmodisch?
Mein erster Instinkt war eigentlich nicht über dieses Stück zu schreiben. Wahrscheinlich, weil ich absolut keine Ahnung habe, was genau auf der Bühne des Akademietheaters passiert ist oder was mit mir passiert ist.
Wie Übelkeit auf der Achterbahn
Ich habe mir „Lärm. Blindes Sehen. Blinde Sehen!“ von Frank Castorf angeschaut. Meine erste Castorf-Erfahrung. Der Abend wirkt auf mich wie ein Exzess, eine Provokation durch materiellen Überfluss. Es gibt unzählige Kostümwechsel, Requisiten und sogar ein Schwein auf der Bühne. Im Text wird der Virus, „die da oben und wir hier unten“ und Odysseus verhandelt. Basti Kurz steht auch mit auf der Bühne und aus den braunen Massen werden Türkise. Es wird nicht nur der Jelinek Text verhandelt, sondern auch andere Schnipsel und Erzählungen eingebaut, die mich persönlich immer wieder mal aus der dramaturgischen Achterbahn raushauen und ich so den Faden verliere. Klar, es gibt immer noch genug zu schauen.
Die Live-Kamera auf der Bühne ist nämlich eine wirklich gute, die ich spannend und abwechslungsweise mal nicht überflüssig finde. Dass Castorf immer so inszeniert ist mir aus vielen Gesprächen in der Theater-Bubble schon klar, aber trotzdem war es für mich schön zu sehen, wie Kamera auf der Bühne auch funktionieren kann. Denn normalerweise brauche ich das gar nicht, weil es eine reine Dopplung ist und ich am Ende nicht mehr weiß, ob ich denn jetzt in die echten Gesichter oder auf die Leinwand gucken soll. Das fand ich also schonmal ganz gut. Ich saß aber trotzdem drin und hab mich mit meinen 23 Jahren gefragt, ob ich zu altmodisch für Castorf oder (post-)modernes Theater bin. Irgendwie weiß ich nie so ganz, was mir gesagt werden soll und zweifle dann an meinen kognitiven Fähigkeiten, die Metaebene zu finden bzw. ob ich denn in meinem Theaterwissenschaftsstudium nicht genug aufgepasst habe.
In wieder anderen Momenten wird sehr weiß auf weiß gemalt und keine Metaebene, sondern eine klare Dopplung auf der Bühne gezeigt (,die ich ja gerade noch bei der Kamera nicht gefunden und mich so gefreut habe), die ich irgendwie dann auch wieder langweilig oder eher nervig finde. Wir sprechen von Schweinen und dann spielen auch alle jetzt Schweine? Nicht zu vergessen, das Schwein, das für ca. 90 Sekunden auf der Bühne war und für mich einfach ein Beispiel dafür ist, wieviel Budget bei dieser Produktion einfach vorhanden gewesen sein muss. Da war ich ehrlich genervt.
Verschlafener Auftritt
Übers Impfen und über Ischgl wird geredet, irgendwie bin ich der Corona-Diskussion im Theater anscheinend auch schon überdrüssig. (Mittlerweile merke ich, dass ich mehr mich selbst kritisiere als die Inszenierung.) Es gibt aber auch definitiv Momente, die mich irgendwie total reinziehen. Branko Samarovski verpasst seinen Auftritt (ich denke und hoffe nicht, dass das gespielt war) und muss erstmal die Souffleuse fragen, „wo wir denn jetzt sind“, nachdem er das Publikum noch schnell aufgeklärt hat, dass ihm das wohl immer wieder passiere.
Ein Handy leuchtet, jemand verlässt den Publikumsraum, ein anderer will, dass der geschriene Monolog endlich ein Ende findet (ich muss zugeben, da war ich auch an der Grenze meiner Aufnahmefähigkeit, habe aber größten Respekt vor der Performance aller Beteiligten): Solche Dinge werden kommentiert und damit das Publikum auch ein Stück weit bloßgestellt, was mich an Erzählungen aus den 90er-Jahren erinnert, wo das von den Großen im Theater wohl tagtäglich praktiziert wurde. Als (noch nicht ganz so große) Schauspielerin kann ich den Impuls dazu echt gut nachvollziehen, weil ich auch schon manchmal ins Publikum schreien wollte, warum mir eigentlich niemand zuhört oder zum zehnten Mal husten muss.
Die Momente danach
An zwei Stellen gegen Ende, die ich jetzt gar nicht mehr so benennen kann, kamen mir die Tränen in die Augen und ich habe weder an dem Abend noch am Morgen danach verstanden, was da genau passiert ist, das mich so bewegt hat. Die Momente waren einfach so da. Aber Lärm hat definitiv etwas mit mir gemacht. Ich habe mich über mich, Geld, Covid und das Theater im Allgemeinen aufgeregt und bin sehr verwirrt nach Hause gekommen. Irgendwie war es ein guter Abend. Glaube ich.