Lullaby for weird hats on a tumulus

Ein verstörendes Gesamtkunstwerk zwischen Gesang und Tanz: Tumulus bei den Festwochen bewegt, wirft Fragen auf und ist durch und durch seltsam.

Sitting on a Tumulus must be a special joy /// Les Cris de Paris, Mandorle productions (c)

Weißt du nicht, was ein Tumulus ist? Banause... Na gut, wusste ich bis gestern auch nicht, fühlte mich in meiner Banausigkeit auch bestätigt, nachdem ich knapp anderthalb Stunden lang die erste, ziemlich krasse Produktion der Festwochen mit diesem Titel anschaute. Das sollte wieder eine Symbiose von Tanz und Musik sein. Wieder, weil die Festwochen schon im April ein solches Experiment zeigten, als Vorgeschmack auf das Festival. Ich war damals bei Castelluccis Requiem dabei und derart hin und weg, dass ich keine Wahl hatte, als auch diesmal hinzugehen.

Der Tumulus ist ein vorgeschichtliches Hügelgrab, sagt mir Duden. Die Etrusker*innen (was die wohl zum Gendern sagen würden...) und andere Urzeitleute begruben ihre Toten gerne unter größeren oder kleineren Haufen. And Haufen there was, in der Mitte der Bühne. Bestimmt zwei Meter hoch, noch viel breiter, mit einer Art kurzem, trockenem Urzeitgras bewachsen. Seltsam faszinierend, so ein Tumulus. Am liebsten hätte man ihn anfassen wollen, selbst auch darauf rumgesprungen. Und er ist irgendwie urig. Welche Form ist denn bitte vorzeitlicher als ein Haufen? Ich glaube, das ganze Universum war mal ein Haufen, bevor es zum Universum wurde...

Doppelvulva oder GoT-Drachenschädel?

Vorne am Tumulus (ich liebe dieses Wort) waren zwei Spalte zu sehen, die von den Tänzer*innen immer wieder benutzt wurden, um zu verschwinden oder aufzutauchen. War das die übergroße Doppelvulva des Tumulus’? Oder waren das die Nasenlöcher eines halb versunkenen Drachenschädels à la Game of Thrones? God only knows, bzw vielleicht sogar er nicht. Denn diese ganze Performance war so weird, dass wahrscheinlich sogar der Allwissende die Stirn runzelte und in irgendeinem vergilbten Lexikon nachschaute, was die ganzen Symbole denn bedeuten sollten. Ich verstand jedenfalls wenig. Die 13 Perfomer*innen tanzten mehr, als sie sangen und wenn sie tanzten, dann Ausdruckstanz. Zuckende Bewegungen, immer wieder die Hände reibend, dann scheinbar chaotisch herumrennend, den Tumulus runterrutschend. Noch dazu in immer neuen Kostümkreationen, deren Konstante die gestrickten Knieschützer und ein verstörendes Material waren: Pufferjackenstoff.

Lullaby für weirde Korb-Hüte

Gegen Ende wurden sie immer nackter, es wurden Männer- und Frauenbrüste bloßgelegt (für all die, die immer noch nicht rafften, dass hier etwas wirklich Modernes gezeigt wurde...) und es erschienen seltsame Requisiten. Perkussive Instrumente, Körbe und zum Schluss sonderliche Korb-Hut-Mischungen, die am Ende auf dem Tumulus artig nebeneinandersitzend zuhörten, wie der Chor am vorderen Bühennrand ein Lullaby von William Byrd sang. Dann Dunkelheit. Und meinerseits auch etwas Erleichterung, das war alles keine leichte Kost. Ich wurde bei weitem nicht so mitgerissen, als bei Castellucci. Lag vielleicht auch an meiner Kulturüberdosis aus der Woche davor. Alexandre Kantorow (Highlight), unser likewise krasses Bohema-Event (natürlich auch ein Highlight), Mitsuko Uchida, Igor Levit und eine Volksopernpremiere und dann noch dieser Tumulus, alles in einer Woche: Vielleicht war das einfach zu viel. Anderen ging die Sache jedenfalls auch zu weit, ein paar Leute verließen den Saal während der Performance.

Ich war mittendrin auch ziemlich verstört. Versuchte, die Symbole zu entziffern, den Sinn der Performance zu verstehen. Was wollten uns Choreograf François Chaignaud und Chorleiter Geoffroy Jourdain sagen? War es vielleicht ein Des-Kaisers-neue-Kleider-Moment? Alle loben im Anschluss mit Aperol Spritz in der Hand die berührende Produktion und denken sich heimlich: Was war dieser Quark? Vielleicht ist meine Sinnsuche aber an sich verkehrt. Mich nerven die Leute auch ungemein, die meinen, sie würden klassische Musik nicht verstehen und sie deshalb meiden. Musik muss man nicht verstehen, nur anhören und schauen, wie man darauf reagiert. Ist es mit so einer Performance auch so? Aber dann warum all die Symbole, die doch sonst immer etwas bedeuten in all den wilden Operninszenierungen? Antworten habe ich keine, dass ich so ins Grübeln gekommen bin, ist aber an sich schon ein Verdienst dieser Produktion.

„Genervt hat das Rumgehüpfe”

I am a sucker for Renaissance-Chormusik, wenn gesungen wurde, war ich jedenfalls glücklich. Ein wenig enttäuschend fand ich, dass während des Gesangs wenig getanzt wurde (das war beim Castellucci-Requiem vielleicht das Krasseste), die wildesten Tanzszenen waren zwischen den Musikstücken. „Die Musik war eh schön, genervt hat das Rumgehüpfe“, überhörte ich eine ältere Wienerin beim Rausgehen. Es bleibt eine Challenge, den Wiener*innen neue Sachen anzudrehen (die Halle E war auch nur halbvoll). Festwochen-Intendant Christophe Slagmuylder lässt aber nicht locker und das finde ich toll. Auch, wenn Tumulus an diesem Abend nicht ganz nach meiner Façon war, finde ich es sehr unterstützenswert, was die Festwochen in den nächsten Wochen anbieten. Für uns Student*innen gibt es billige Restkarten, lasst euch auch mal überraschen.

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