Musiktheater mit Abspann

Die Musiktheatertage Wien - ein Festival, das sich das Brechen mit Konventionen auf die Fahnen heftet, um eigene künstlerische Impulse zu setzen – eröffneten mit drei spannenden Performances ihr vielversprechendes Programm im WUK.

Es wird ungemütlich im 24. Jahrhundert /// MTT, Valeriia Landar (c)

Den Hauptact bildete die Dystopie Chornobyldorf, eine archäologische Oper von Roman Grygoriv und Illia Razumeiko. 20 Minuten verspätet ging es im vollen Saal des WUK los. Immerhin sah man in einem szenisch-akustischen Vorgang bereits die Walküre im Hof herabsteigen und konnte, ganz konventionell, einer Eröffnungsrede lauschen. Der Abend versprach jetzt allerdings erst richtig interessant zu werden.

Willkommen in der Dystopie

Die österreichische Erstaufführung von Chornobyldorf, einer komplexen Multimedia-Oper, entpuppte sich als aufregende künstlerische Reise mit erschreckendem Realitätsbezug. Entgegen der Erwartung, die der Titel auslöst, handelt es sich nicht um eine Chornobyl-Dokumentation, sondern um ein Stück, dessen Handlung im 24.-27. Jahrhundert n. Chr. angesiedelt ist. Eine dystopische Fiktion in sieben Akten.

Die Zukunft sieht nicht rosig aus. Alles scheint postapokalyptisch zerstört und tot, wobei die wenigen zurückgelassenen Darsteller*innen in dieser schwierigen Situation versuchen, ihre Kultur, ob dramma per musica oder Messfeier, am Leben zu halten. Um diese verschiedenen Geschichten aus der Zukunft zu erzählen, wird auf Multi gesetzt. Multi in vielen Bereichen: Verschiedene Sprachen werden gesprochen, diverse Musikstile von Klassik über Volksmusik bis zu dröhnendem Disco-Sound werden verflochten, eine Vielfalt von Instrumenten kommt zum Einsatz, durch Tanz wird eine weitere Ausdrucksebene eröffnet und zwei große Leinwände präsentieren im Sinne der Multimedialität Videoarbeiten, die den Bühnenraum virtuell erweitern.

Das Auge ist durch diese Multi-Inszenierung überfordert, denn man kann kaum alles erfassen, was sich vor einem abspielt. Und zur endgültigen Verwirrung der Sinne tönt jeglicher Sound aus Verstärkern. Woher welcher Klang kommt oder ob dieser Klang überhaupt live erzeugt ist, ist nicht einfach zuzuordnen. Alle Grenzen zwischen Live-Musiktheater und Film sind gelungen gesprengt, als am Ende auf den Bildschirmen ein Abspann läuft. Den braucht man erstmal, um wieder auf den Boden zurückzukehren. Anschließend kann man dem Ensemble applaudieren und zu einer gelungenen 120 Minuten Performance gratulieren.

Wer danach noch Lust auf mehr hatte oder einfach nicht hinaus in den Regen wollte, konnte zu einer Late Night Musikperformance für einen Flügel, Elektronik, Licht und Raum bleiben.

Eine Performance bei den MTT ist Pflicht!

Das Programm der Musiktheatertage, das nicht nur durch spannende Musiktheaterformen, sondern auch durch Qualität besticht, macht Lust auf mehr. Oper am Fahrrad oder „La Bohème“ in feministischer Punk Version? Zumindest eine Performance sollte man sich anschauen!

Daily portion of craziness served by MTT /// MTT, Valeriia Landar (c)

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