Vom Schneeball zur Lawine

Persona Non Grata: Aufgriff einer österreichischen #MeToo-Debatte, an die sich wahrscheinlich die wenigsten erinnern.

Gerti Drassl als Andrea Weingartner /// (c) coop99

Kein Biopic

Im Winter 2017 berichtete DER STANDARD über sexuelle Übergriffe, Machtmissbrauch und Pädophilie innerhalb des Österreichischen Skisverbands. Nicola Werdenigg hatte sich hierfür mit ihren eigenen Erfahrungen der Tageszeitung anvertraut. Gerti Drassl verkörpert als Andrea Weingartner in Persona Non Grata (2024) nun eine gleichermaßen mutige Frau. Der ÖSV, DER STANDARD und auch Armin Wolf sind zwar als solche im Film zu sehen und tragen zu einer verstärkten Realitätsnähe bei, doch Andrea Weingartner ist nicht Nicola Werdenigg und Persona Non Grata kein Biopic. Dadurch, dass Andreas Figur fiktionalisiert ist, schafft es der Film noch eher ein strukturelles Problem sichtbar zu machen und jede und jeden im Kinosaal ganz persönlich anzusprechen. Folgende Frage steht im Mittelpunkt: Wie ergeht es einer Frau, welche sich 2017 dazu entschließt über vierzig Jahre zurückliegende Missbrauchserfahrungen zu sprechen, und das nicht nur im familiären Umfeld, sondern auch öffentlich?

Ein Biopic über Werdenigg würde zwar eine bemerkenswerte Frau porträtieren, aber würde uns eben nur in eine ganz spezifische Geschichte eintauchen lassen. Die Message des Films würde dabei aber größtenteils dem Fall Werdenigg anhaften. Genau das wollte die ehemalige Sportlerin aber bereits 2017, im Gespräch mit dem STANDARD, vermeiden. Sie nannte daher keine Namen. Auch der Filmfigur Andrea (Gerti Drassl) geht es mit ihrer Aufarbeitung ausdrücklich nicht um einen persönlichen Racheakt, sondern darum den strukturellen Machtmissbrauch im österreichischen Skisport aufzudecken und angehende Leistungssportler*innen zukünftig besser vor sexuellen Übergriffen zu schützen.

Schneemetaphern

Es braucht keine Schneeräumung, wenn es eh (noch) nicht geschneit hat – so der Österreichische Skiverband zu Andrea Weingartner. Gemeint ist hier im übertragenen Sinne, dass Präventionsmaßnahmen gegen sexuelle Übergriffe im Skisport nicht für nötig empfunden werden, solange man diese doch auch weiterhin erfolgreich vertuschen kann. Andrea beweist jedoch im Laufe des Films, dass auch vereinzelte Schneeflocken zu den richtigen Momenten genügen können um hartnäckigen Altschnee massiv aufzuwirbeln und sogar eine Lawine zu triggern. Aber Schluss jetzt mit Schneemetaphern.

Ich finde, Antonin Svoboda geht außerordentlich feinfühlig mit der gewählten Thematik um. Persona Non Grata ist weit davon entfernt, auf explizite Schockszenen zurück zu greifen um die Realität von sexuellem Missbrauch sichtbar zu machen. Ohne jegliche Form von Voyeurismus zu begünstigen und sexuelle Übergriffe zu visualisieren, schafft der Film es, das Mitgefühl der Zuschauer*innenschaft einzufangen. Drassls authentische Verkörperung von Andreas innerem Kampf leistet hierfür wohl den größten Beitrag. Es werden also weder explizite Inhalte gezeigt oder besprochen, noch geht es in irgendeiner Weise um Einblicke in die Beziehung zwischen Täter und Opfer. Zentral ist viel eher das Zusammenspiel von inneren und familiären Konflikten.

Mütter und Töchter

Eingebettet ist Andreas Aufarbeitungsprozess in zwei symbolische Ereignisse: der Tod ihres Ehemannes und die Geburt ihres Enkelkinds. Der, für sie, unerwartete Todesfall gilt als erster Weckruf für die Protagonistin. Es folgt ein Übergriff des Nachbarn kurz nach der Beerdigung, Unverständnis und Kälte seitens der eignen Mutter, Gespräche mit dem ÖSV sowie die Einsicht, dass sogar vierzig Jahre später sexuelle Übergriffe innerhalb von Sportverbänden lieber totgeschwiegen werden. Die Ereignisse welche Andrea mit ihren Traumata und ihrer Wut konfrontieren häufen sich, bis sie beschließt mit dem Erlebten an die Öffentlichkeit zu gehen und der eigenen Mutter und Tochter einen Einblick in ihre dunkele Vergangenheit zu geben.

Herta (Krista Posch) und Sara (Maya Unger) als Großmutter und Enkelin /// (c) coop99

Zwei Mütter-Töchter-Beziehungen werden einander gegenübergestellt. Unterschiedlicher könnten sie kaum sein. Oder sind sie sich doch ähnlicher als sie auf den ersten Blick erscheinen?

Herta (Krista Posch), Andreas äußerst konservative Mutter, hat kein Verständnis für Andreas frühzeitigem Ausstieg aus dem Skisport und trauert der versäumten Karriere immer noch verbittert nach. Andreas desillusionierte Tochter Sara (Maya Unger) wünscht sich mehr Aufmerksamkeit und emotionale Verfügbarkeit von ihrer Mutter, während diese damit beschäftigt ist ihr eigenes Leiden unter Kontrolle zu bringen. (Fun fact: als Sara hat Regisseur Antonin Svoboda übrigens seine eigene Tochter gecastet.) Andreas Entwicklung balanciert im Film anfangs zwischen diesen zwei Polen hin und her: die Gefühlskälte einerseits und die emotionale Anteilnahme andererseits, repräsentiert durch die Figuren Herta und Sara. Gemeinsam haben beide Mutter-Tochter-Duos aber dennoch, dass sich die Töchter von ihren jeweiligen Müttern mehr Einfühlsamkeit und ein offenes Ohr wünschen. Der Film deutet an, dass hier transgenerationale Traumata im Spiel sind und auch Herta eigentlich nicht so unwissend ist, als sie es gerne wäre. Schlussendlich reagiert Herta mit Wut und Leugnung auf die Berichte ihrer Tochter, während Andreas Vertrauensvorschuss das Eis zwischen ihr und Sara zerbricht.

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