Saltburn im Kreuzfeuer: Sammelkritik

Meinungen Meinungen Meinungen - Mitglieder der Bohema-Filmredaktion über Emerald Fennells Saltburn

(c) Amazon MGM Studios

Wenn nicht mal mehr der Holzhammer reicht

Als Parasite 2019 in den Kinos erschien, mochte ich ihn zwar sehr, aber bis er mir wirklich ans Herz wachsen konnte, brauchte es fünf Jahre voller einfallsloser Trittbrettfahrer. Saltburn zum Beispiel.

Oliver, ein Mann aus vermeintlich prekären Verhältnissen infiltriert eine millionenschwere Familie, die in ihrer Dekadenz, Ignoranz und Bösartigkeit schwarz-komödiantische Züge annimmt. Folglich muss er unfaire Tricks anwenden, um die Welt der Reichen und Schönen zu navigieren. So weit, so bekannt. Doch wenn man schon Holzhammer-Satire über Klassenunterschiede schreibt, dann sollte die Nachricht des Films wenigstens konsistent sein. Leider entscheidet sich Saltburn mitten in seiner Handlung dafür, den Protagonisten nicht mehr als Sinnbild des verzweifelten Prekariats einzusetzen, sondern macht ihn zum Symbol der oberen Mittelschicht, getrieben von Neid und Gefühlen der Unzulänglichkeit gegenüber den 1%. Die Frage, was Menschen zum skrupellosen Aufstieg bewegen kann, verblasst neben einer platten Charakterstudie. Oliver ist ein Psychopath, weil er reich ist, aber nicht reich genug.

Welche Ideologien hinter diesen Konflikten stehen könnten, wie die Existenz von Superreichen Fankults, Opportunisten und Verteidiger mit sich zieht, wird ausgeklammert. Stattdessen werden Unter- und Mittelschicht plump gegeneinander ausgespielt. Am Ende bleibt Saltburn ein pseudointellektueller Erotikthriller, der zwar spaßig anfängt, aber mit seiner Laufzeit nicht nur an Sexappeal und Spannung, sondern vor allem an Aussage verliert.

Fabia Wirtz

(c) Amazon MGM Studios

Ein (un)menschliches Verlangen nach Aufmerksamkeit

„If you think of getting away, I will prove you wrong”. Die Worte, die am Ende von Saltburn, von Sophie Ellis-Baxtor durch das gesamte Anwesen dröhnen, geben rückblickend einen Hinweis auf das gesamte Geschehen. Ein quasi-Stockholm-Syndrom-Film, der allerdings fast bis zum Ende zu verbergen versucht, wer die wahren Täter:innen und Opfer sind. In gewisser Weise werden wir zu Ollie, denn wer von uns hat sich nicht schon einmal danach gesehnt, in einem Anwesen zu leben, sich um Geld keine Sorgen machen zu müssen, und an der Seite spannender und interessanter Personen zu leben? Eskapismus kennen wir alle. Doch hier wandelt sich der Eskapismus in Obsession und dem Verlangen, sich alles so sehr einzuverleiben, dass man am Ende selbst spannend und interessant wird. Ist Saltburn so gut wie Promising Young Woman, Emerald Fennells erster Film? Nein, aber er ist trotzdem gut.

Lara Marmsoler

(c) Amazon MGM Studios

Eine auf den kopfgestellte Romeo und Julia Erzählung inmitten des Sommernachtstraum durchzogen von griechischer Mythologie

Emerald Fennell hat mit ihrem neuesten Werk Saltburn ein wahres Feuerwerk aus Symbolik, Mythen und Sagen geschaffen. Besonders durch das Kostümdesign von Sophie Canale werden Nuancen geschaffen, die den Film zu einem mysteriösen vielschichtigen Erlebnis machen.

Ob Felix’ goldene Flügel symbolhaft für Ikarus stehen, welcher die Motte Oliver anzieht oder ob Oliver ein Abbild Theseus ist, welcher mit der Mission den Minotaurus zu schlachten in Dädalus‘ Labyrinth geht, um alleiniger Herrscher von Kreta zu werden. Ob Felix – wie Julia – das Opfer einer obsessiven Beziehung wird, die mit einer vergifteten Flasche ein tragisches Ende findet oder Oliver mit seinem Geweih sowohl das Gejagte als auch die Gefahr widerspiegelt - der Film bietet endlose Vergleiche und Interpretationsspielraum.

Unterstütz werden diese Elemente durch die lebhafte Lichtsetzung. Ob diese nun mit Farben, Sillouten oder Schatten arbeitet – und einer unfassbaren Bildanordnung, welcher es gelingt mit jedem Bild für staunen zu Sorgen. Mit einem altmodischen Farbkontrast und einem passendem 2000er Soundtrack sticht Saltburn aus der teilweise matten Filmlandschaft heraus. All dem, gepaart mit den düsteren und skurrilen Momenten der Handlung, gelingt es, das Publikum in Bann zu ziehen.

Dass die allgemeine Rahmenhandlung mit ihren vorhersehbaren und redundanten ‚Twists‘ das Rad nicht neu erfindet, ist unbestritten. Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, warum die Geschichte eines Filmes oft als zentrales Qualitätskriterium genommen wird, wenn Film doch eine - wenn nicht die - kollaborative und interdisziplinäre Kunst darstellt.

Lucas Hofbauer

(c) Amazon MGM Studios

Saltburn - schräg, aber gut?

Emerald Fennell zieht Filmbegeisterte mit ihrem zweiten Film Saltburn in den Bann. Dieser lässt sich als Gothic Romance mit männlichem Protagonisten und einem etwas genre-untypischen Twist beschreiben. Visuell findet die Gothic-Ästhetik nur in einzelnen Einstellungen Platz, denn zu einem Großteil finden sich starke Farben der Natur im Kontrast zu dunklen Räumen des Hauses in den Bildern die Kameramann Linus Sandgren meisterhaft einfängt. Seine Arbeit macht diesen Film zu einem der bestaussehendsten der letzten Jahre.

Ebenso positiv zu vermerken ist die schauspielerische Leistung des Hauptdarstellers Barry Keoghan, dem seine Rolle einiges abverlangt. An seiner Seite ein wunderschöner Jacob Elordi, eine exzentrische Rosamund Pike, ein bizarrer Richard E. Grant, sowie eine geniale Alison Oliver.

Dennoch kann Saltburn nicht komplett überzeugen. Dem Drehbuch hätte eine Überarbeitung gut getan: die Motivation des Protagonisten fehlt, seine Vergangenheit wirft nur Fragen auf, die nie beantwortet werden. Der Kommentar zur Welt der Reichen und Schönen funktioniert, wurde aber sicher schon pointierter umgesetzt. Ob Emerald Fennell provozieren will oder nicht, die ein oder andere unangenehme Szene ist in Saltburn dabei. Sie sind auch der Grund weshalb der Film gerade in aller Munde ist. Dieser ist eine Sichtung, trotz kleiner Schwächen, auch definitiv wert.

Julia Reischl

(c) Amazon MGM Studios

Der talentierte Mr. Ripley des 21.Jahrhunderts

Wer in den letzten Wochen Zeit im Internet verbracht hat, wird um Saltburn nicht herumgekommen sein. Schon bevor ich den Film gesehen habe, war mein Feed voll mit Interviews, und Filmausschnitten. So viele, bis ich mir dann mal selbst ein Bild machen wollte und ihn mir anschaute. Und als dann der Abspann lief, war ich etwas enttäuscht. Regisseurin Emerald Fennels hat mit Saltburn eine „Eat the Rich“-Satire geschaffen, die Social Media- und massentauglich ist. Doch eine wirkliche Tiefe hatte der Film nicht. Die Charaktere der Protagonist*innen wirkten flach und nicht wirklich ausgearbeitet, außer der von Oliver (Barry Keghon). Auch die vielen Themen, die der Film behandelt, werden bloß gestreift. Dafür war jede Szene perfekt durchchoreographiert- und inszeniert und an jeder Ecke lauerte ein Plot-Twist. Fennels liefert den Zuseher*innen eine geballte Ladung an popkulturellen Momenten, Szenen, die für Diskussionsstoff sorgen und einen hochkarätigen Cast. Aber die wirkliche Kritik an der Oberschicht bleibt aus.

Clarissa Donati

(c) Amazon MGM Studios

Lauter, Leere, Lügen

Saltburn ist ein Film, der einem fast erfolgreich Tiefe vorgaukelt. In dem Versuch – oder zumindest unter der Behauptung – Stereotypen zu subvertieren, findet er sich so von diesen eingenommen wieder, dass jede kritische Stimme verkommt und zu einem Konglomerat aus schlichten Wiederholungen der scheinbar hinterfragten Motive wird. Vor allem den zeitweise grandiosen Bildern und dem versierten Schauspiel gelingt es beinahe, die inspirationslose, von billigen Schockbildern und stumpfen Zynismus durchzogene Handlung zu verschleiern. Ja, man hat mit Saltburn ab und an tatsächlich das Gefühl, großes Kino zu erleben – tolle Kamerafahrten, schöne Aussichten, attraktive Menschen, gutes Licht...

Doch genau das ist das Problem. Wie soll man einem Film Kritik an der britischen Aristokratie glauben schenken, wenn er deren Ästhetik bedingungslos feiert, sich regelrecht daran ergötzt. Wenn Geschichten der Ungleichheit nichts sind als Werkzeuge, um die Zusehenden zu überraschen und das tatsächliche Ziel des Films keine Auseinandersetzung mit dem Gezeigten, sondern eine Provokation möglichst starker Reaktionen zu sein scheint, worauf sämtliche Szenen wie z.B. der verharmlosende Smashcut auf einen Tod durch Suizid hinweisen. Jegliche Aussage verkommt so zu einem grauen Einheitsbrei der Affekte und alles, was bleibt, sind ein paar hübsche Aufnahmen, ein lächerlicher Diskurs über die Penisgröße des Hauptdarstellers und ein Film, der entweder selbst nicht weiß, was er sein will oder genauso verlogen ist wie sein Protagonist.

Tobias Hollinetz

Bohema Bohemowski

A collective mind of Bohema magazine

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