(Un)genießbarer Lärm?  

„Shut your cake hole and Fax me now!“: Alex Paxtons Stück How to Eat your Sexuality klingt interessant, aber ist es auch mit unerfahrenen Ohren genießbar?

Dirigent Vimbayi Kaziboni /// Klangforum Wien, Christina Kastner ©

Aus sechs Stimmen besteht das Ensemble der Neuen Vocalsolisten, drei männlichen und drei weiblichen. Mit ihnen beginnt das neue Stück How to Eat your Sexuality des jungen, als „System Crasher of Genre“ bezeichneten Komponisten Alex Paxton, der laut Programmheft hochgelobt und mit Preisen überhäuft wird. In Zusammenarbeit mit dem Klangforum Wien erfuhr das Stück im Wiener Konzerthaus seine österreichische Erstaufführung.

Ein paar verhaltene Lacher im Publikum

Die sechs Sänger*innen in dem Mozart-Saal angemessener Abendgarderobe bilden einen äußerst komischen Kontrast zu den Texten des ersten, rein vokalen Teils des Stückes: „Shut your cake hole and Fax me now!“ wird da beispielsweise gesungen, oder „They should defenitely get a great big doggy „woof woof“ in the office“. „(tongue noises)“ ist an einem Punkt an der den Text zur Schau stellenden Leinwand zu lesen. Dem Publikum entlockt das vereinzelte, verhaltene Lacher, mehr erlaubt die Formalität der Situation aber nicht. Man fragt sich, ob das Konzerthaus der passende Ort für eine solche Aufführung ist, der ist aber vielleicht auch Teil des Genre-Crashs. Ein Fokus liegt auf den weiblichen Stimmen, die in ohrenbetäubende Höhen klettern. Eine durchgängige Melodie oder einen Erzählstrang sucht man vergeblich, eher wird ein Klangteppich kreiert. Musik und projizierter Text zusammen sind etwas viel, man weiß nicht ganz, auf was man sich jetzt konzentrieren soll.

Das Klangforum /// Klangforum Wien, Christina Kastner ©

Im zweiten Teil kommt das Instrumentalensemble des Klangforums zum Einsatz. Das klingt, wie ein klassisches Orchester, aber nachdem das ganze Stück einmal wild durchgeschüttelt wurde. Aus dem Meer an Klang kämpfen sich immer wieder einzelne Melodien nach oben: mal klingt es whimsical nach Harry Potter, mal martialisch, mal episch. Ein Salat aus Filmmusik. Das klingt durchaus interessant, ist aber natürlich nicht ganz so leicht verdaulich wie ein klassisches Orchesterstück. Die ein oder andere quietschende Geige kann da schon einmal unangenehm werden.

Soll das so wehtun in den Ohren?

Im dritten Teil arbeiten alle zusammen, die Dezibelzahlen steigen deutlich. Spätestens jetzt ist der Text nicht mehr verständlich, aber das soll er wohl auch nicht sein. Auch die einzelnen Melodien, die sich im reinen Orchesterteil noch hochkämpfen konnten, sind jetzt nicht mehr auszumachen. Der Klangteppich nähert sich gefährlich der Kategorie „Lärm“. Das restliche Publikum scheint nicht dieser Meinung zu sein oder findet Gefallen daran, denn als der Komponist am Ende des Stückes in violetter Jogginghose und neonpinkem Pulli auf die Bühne klettert, wird er minutenlang tosend beklatscht.

(Das Video zeigt ein anderes Stück von Alex Paxton, How to Eat your Sexuality ist noch nicht online)

Man kann Alex Paxtons How to Eat your Sexuality, und wohl auch Neue Musik im Allgemeinen, nicht als für unerfahrene Hörer*innen besonders zugänglich beschreiben. Vielleicht braucht es etwas Übung, um diese Musik, die die gewohnten Grenzen von Genre und sogar dem, was als Musik betrachtet wird, überschreitet, wertschätzen zu können. Als neue Hörerin fragt man sich, was einem diese Geräuschkulisse geben kann, die an vielen Stellen alles andere als angenehm zu hören ist. Die Frage danach, was eigentlich noch als Musik gelten kann und welche Empfindungen sie auslösen sollte, ist natürlich eine interessante. Neue Musik stellt diese Frage in einer Zeit, in der alte Grenzen und Kategorien auch in vielen anderen Bereichen neu verhandelt werden.

Previous
Previous

„Die Aussage ist: das System ist hart“

Next
Next

The Leipzig Years — Kapitel 10