Walzer, Blumen & Gegensätze… und die Dirigent*innenfrage

Ungezwungene Ziehrer-Walzer, plötzliche Genre-Wechsel und witzige Zugaben zierten einen sehr wienerischen, allerdings von vielen offenen Fragen überschatteten Abend.

Juhuu, der Frühling ist da! /// Wiener Symphoniker (c)

Die Frühlings-Vibes waren nicht zu übersehen und -hören. Mit unzähligen Blumen, welche die Bühne schmückten und dem breiten Grinsen auf den Gesichtern aller Musiker*innen glitt der gesamte Saal mit spielerischer Leichtigkeit durch die ersten paar Walzer. Allen voran: Dirigent Markus Poschner. Er war mit seinen wenigen lockeren Gesten und unübersehbarem Lächeln basically nur am Spaß haben. Man hätte nie erraten können, dass er mit nur ein paar Tagen Vorbereitung wegen des abrupten Abflugs Orozco-Estradas einspringen musste. Fast übertrieben stark hervorgehobene Crescendi und Accelerandi, die in majestätischen Hymnen im Wiener Walzer-Rhythmus kulminierten, symbolisierten das Ende eines langen, kalten Winters in dieser Stadt. Ein perfekter Start in den musikalischen Abend.

Guldas Misch-Konzert passt doch hinein

Bei einem solchen Beginn würde man ein Konzert für Violoncello und Bläser, aber auch inklusive Gitarre, Solo-Kontrabass und Schlagzeug mit Spuren der Rock- und Jazz-Genres ja eigentlich als unpassend betrachten. Man wurde allerdings durch Poschner, leidenschaftlicher Jazz-Pianist, und auch den Solisten Kian Soltani, der mit seinem jungen Esprit auch Erfahrung in diesen Genres hat, eines Besseren belehrt. Während sich Poschner im ersten Satz genüsslich zu amüsieren schien, manövrierte Soltani fehlerlos jazzige Glissandi in Doppelgriffen, die nur wenige Takte später zur Hauptstimme alpiner Ländler wurden. Und während die ersten zwei Sätze des Konzerts zwischen Jazz und typisch österreichischen Bergluft-Vibes abwechselten, versetzte der letzte Satz mit Quasi-Schrammelmusik die Zuhörer*innen an einen Grinzinger Heurigentisch.

Wie gut das Stück zum Wiener-Frühling-Thema passte und warum auch die Besetzung nicht perfekter hätte sein können, wurde durch den tobenden Applaus und die Standing Ovations am Ende des ersten Teils verdeutlicht. Dieser Reaktion nach wurde Poschner Seiten des Publikums für einen soliden Orozco-Estrada-Ersatz, ja vielleicht sogar für eine vermeintlich bessere Option gehalten.

Ha Ha Ha Ha Ha Ha

Nach einem zweiten Teil, der von typisch frühlingshaften Wiener Klassikern, aber auch underrated und selten gespielten Korngold-Stücken geprägt war, richtete sich Poschner nach minutenlangem Applaus vor der letzten Zugabe noch einmal ans Publikum: „Ohne Sorgen; etwas, was wir uns alle in dieser Zeit wünschen“. Was folgte war eine schnelle Polka von Josef Strauß, welche ein gesungenes und äußerst ansteckendes Lachen auf Seiten der Musiker inkludierte. Es war der perfekte Abschluss eines sehr gelungenen, fröhlichen Abends mit Soltani und Poschner im Mittelpunkt. Keine einzige unschöne Miene im Publikum, für Wien eine Seltenheit.

Was allerdings auch nach dem Konzert zu besprechen bleibt, ist der abrupte Rücktritt Orozco-Estradas als Chefdirigent und die Suche nach einem Nachfolger bzw. einer Nachfolgerin. Orozco-Estrada kam in seiner kurzen Zeit als Chefdirigent nie wirklich perfekt beim Orchester an. Vor allem auf Seiten der Streicher*innen gab es schon von Anfang an Unstimmigkeiten in Sachen Interpretation und Aufführungspraxis, dazu kam seine Arbeitshaltung, die vom Orchester angeblich als kindisch und unreif abgetan wurde. Als daher von Intendant Jan Nast eine Vertragsverlängerung in den Raum gestellt wurde, wurde die Meinung des Orchesters erfragt. Dieses lehnte nach einer Abstimmung die Idee mit überzeugender Mehrheit ab; Orozco-Estradas Zeit als Chefdirigent sollte mit dem Auslaufen seines Vertrages zu Ende gehen. Geschockt durch das Resultat der Abstimmung trat Orozco-Estrada am Tag darauf mit sofortiger Wirkung zurück.

Wer wird denn nun Chefdirigent*in?

Und jetzt? In den nächsten Wochen werden die Symphoniker mit einigen Dirigent*innen in Kontakt treten und sie evaluieren. Optionen gibt es genug: Oldschool Safe-Bets wie Ádám Fischer, Dirigent des Weihnachtskonzerts und einer sehr erfolgreichen Tournee mit Kavakos als Solist, oder Manfred Honeck, der letzten Oktober Tschaikowskis Pathétique leitete, scheinen solide und realistisch. Etwas gewagter wäre der nur 32 Jahre junge Schweizer Lorenzo Viotti, unter dessen Leitung in den nächsten Monaten einige Konzerte stattfinden werden. Dass endlich erstmals eine Frau den Posten einnimmt, ist (auch wegen des krankheitsbedingten Ausfalls von Joanna Mallwitz vor wenigen Wochen) eher unwahrscheinlich.

Wer sich sehr gut mit dem Orchester zu verstehen scheint ist der Dirigent der kommenden Bregenzer Festspiele, Enrique Mazzola. Ob sich dieser allerdings neben Opern auch bei Programmkonzerten eine gute Wahl ist, wird spätestens bei dem Schostakowitsch- und Tschaikowski-Konzert unter seiner Leitung in wenigen Monaten klar werden. Definitiv erwähnenswert ist außerdem der Franzose Alain Antinoglu, welcher bei der Leitung der Sibelius und Franck Konzerte im Jänner einen sehr guten Eindruck beim Orchester hinterlassen hat. Klare Favoriten gibt es bis jetzt allerdings noch nicht. Die Frage, wer beim nächsten Osterkonzert der Symphoniker lächelnd und gut gelaunt das Publikum zur Zugabe adressieren darf, bleibt also weiterhin offen.

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