Bohema Magazin Wien

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Alma: Coming of Age einer Antisemitin

Die Volksoper zeigt mit Ella Milch-Sheriffs Auftragswerk Alma das Psychogramm der widersprüchlichen Wiener Bekanntheit Alma Mahler-Werfel und ihrer viel unbekannteren Tochter Anna.

Und irgendwann wir alle… /// Alexandra Timofeeva ©

Die Oper beginnt mit einem Ende: die Beerdigung von Manon Gropius, Tochter von Alma Mahler und dem berühmten Bauhaus-Begründer Walter Gropius, im Jahr 1935 findet regen Zulauf auf dem Friedhof. Doch zum Entsetzen des Chores ist die Frau neben dem Sarg nicht die Kindesmutter, sondern deren Halbschwester Anna Mahler. Sie sucht wütend ihre Mutter auf, die besoffen und depressiv im Flügel liegend auf die Bühne gefahren kommt. Beerdigungen sind nichts für sie: sie mag Premieren und keine letzten Vorhänge. Dafür lässt sie aber ihr einzig verbliebenes Kind wissen, dass Manon die einzig wahre Tochter gewesen sei und Anna nur wertloses Anhängsel. „Ophelia“, beleidigt Anna ihre Mutter – „Elektra“ heischt diese zurück, Annas Vorliebe für ihren Vater Gustav Mahler kritisierend.

Eine heimliche Protagonistin

Die neue Oper der israelischen Komponistin Ella Milch-Sheriff und ihres Landsmannes Ido Ricklin (Libretto) nimmt zwei Frauen in den Blick, die unterschätzt werden oder teils neben den großen Namen ihrer Männer/Väter verschwinden. Zum einen die Titelfigur – Alma Mahler-Werfel. Berühmt vor allem als „Muse“ und für ihre Liebschaften und Ehen mit zahlreichen bekannten Künstlern ihrer Zeit: neben Mahler und Gropius reihen sich auch Oskar Kokoschka, Franz Werfel und Gustav Klimt ein. Ihre Tochter Anna Werfel ist die zweite heimliche Protagonistin des Abends. Sie betätigte sich als Bildhauerin, schuf zahlreiche Werke, ihre Bekanntheit ist bis heute aber sehr begrenzt. Die von der Mutter verschmähte Tochter ist das einzige Kind Alma Mahlers, das die Jugend überlebte – und genau hier setzt die Oper an.

In fünf Akten verfolgen wir das Leben Alma Mahlers rückwärts. In den 1930er Jahren blicken wir in den Salon, in dem sie ihre heiß geliebte „arische“ Manon als singendes Ausstellungsstück wie Hoffmanns Olympia präsentiert, nachdem sie bei einer Rede Hitler über den grünen Klee lobte und den Juden die Schuld für die Instabilität der Zeit in die Schuhe schob – obwohl zwei ihrer Ehemänner jüdisch waren. Im zweiten Akt, zehn Jahre zurück, betrügt sie ihren Mann Walter Gropius mit Franz Werfel, der die schwangere Alma zum Entsetzen der Tochter Anna wild und hart auf dem Flügel von hinten penetriert. Das Ergebnis der Liaison ist ein Junge, Martin, der mit Wasserkopf geboren wird und bald stirbt. Der Grund ist für Alma klar: der angeblich verdorbene Samen des Judens Werfel muss schuld sein. Im dritten Akt landet die jüngere Alma im Atelier des rasend eifersüchtigen und obsessiven Oskar Kokoschkas, der sie ebenfalls schwängert. Trotz seiner Drohungen will sie das Ungeborene abtreiben, das sich unter Hilfeschreien an die Nabelschnur klammert. Kokoschka baut sich als Trost eine gigantische Alma-Fetisch-Puppe.

Gustav, oh Gustav

Die letzten zwei Akte zeigen ihre Ehe mit Gustav Mahler. Er zwingt die nun junge Frau, das Komponieren aufzugeben – anders heirate er sie nicht. So sichert er sich nicht nur eine Hausfrau, die ihm die Kinder austrägt und der das Sprechen nicht gestattet ist, sondern wird gleichzeitig noch eine eventuelle Konkurrentin los. Bevor ihr erstes Kind, Maria, an Diphtherie stirbt, muss sie ihr eigentliches erstes Kind im Feuer verbrennen: ihre eigene Musik. Ein schicksalhaftes Opfer und der wohl folgenschwerste Fehler ihres Lebens – ihre Tochter und Künstlerin Anna steht neben ihr, fleht sie an, es nicht zu tun. Doch sie kann als Zeitreisende neben ihrer jungen Mutter nichts ausrichten.

Gustav, Alma und Anna Mahler /// Barbara Pálffy, Volksoper Wien ©

Die Musik Milch-Sheriffs ist stilistisch vielfältig. Sie trägt die Handlung hervorragend, unterstreicht Emotionalität an den richtigen Stellen und distanziert sich auch von Alma, wo es nötig ist. Fagotte begleiten die alkoholkranke und zynische Alma zu Beginn, Violinen formulieren ihre schmerzhaften Wehen später bei der Geburt ihrer ersten Tochter. Es sind Zitate von Gustav Mahlers Sinfonien zu hören und, sehr prominent, ein Best-Of-Medley von Le Nozze di Figaro. Nur Almas Musik wird nicht zitiert. Das Programmheft verrät, dass es aufgrund des Urheberrechts nicht möglich war. Dafür erfindet die Komponistin aber beeindruckend gut eine Sprache für Almas Musik, dass man sich fragt, ob die Sequenz nicht doch von ihr stammen könnte. Das Libretto versteht in den weitesten Teilen, die Dramatik zu schärfen und poetische Umschreibungen zu finden. Lediglich in den Chortexten wird es hier und da plump und in medizinischen Notfällen auch lexikalisch wie Wikipedia. Das tut der Gesamtwirkung der Oper jedoch keinen Abbruch: beim Schlussapplaus wird Milch-Sheriff teilweise mit stehenden Ovationen begrüßt.

Regie: Atmosphäre toll, Figurenfürung überhöht

Für die Regie wählte die Volksoper Ruth Brauer-Kvam, die des öfteren dort auf der Bühne zu sehen ist, zum Beispiel als Operettenstar Fritzi Massary oder als Conférencier in Cabaret. Als Tochter des bekannten bildenden Künstlers Arik Brauer sah sie laut eigener Aussage eine Verbindung zu Anna Mahler. Brauer-Kvam positioniert die Figuren in Tableaus, setzt auf klassische Gesten und Körperlichkeit (wie die langsam zueinander reichenden Hände oder eine Schwerfälligkeit im Gehen, wenn Alma von der toten Manon fordert, zu bleiben), die nicht immer überzeugt. Andere Bilder sind in ihrer Simplizität bewegend: wenn sich alle Kinder und Männer zu einem gruseligen Familienfoto aufstellen oder wenn Alma unter dem Druck des Chores in die Ehe mit Mahler einwilligt. Leider sah Brauer-Kvam in den Figuren Essenzen, die eine Überhöhung benötigen, was eine tiefgreifende Auseinandersetzung oder Analyse der psychischen Komplexität von Alma und Anna im Wege steht. Die Musik hätte dies hergegeben. Was Brauer-Kvam aber stark gelungen ist, ist die unheimliche Stimmung der Musik, die sich pausenlos durch die gesamte Oper zieht, auch in eine szenische Atmosphäre umzusetzen.

Ein nachgebautes Atelier als Bühnenbild /// Barbara Pálffy, Volksoper Wien ©

Das Bühnenbild (Falko Herold) ist ein gewächshausartiger Raum, der sich nach einem Blick ins Programmheft als der recht originalgetreue Nachbau des tatsächlichen Ateliers von Anna Mahler herausstellt. Durch ihn zieht sich ein u-förmiges Gleis, auf dem Klaviere oder ein Wagen aus einer Geisterbahn mal smooth mal ruckelnd den Weg bahnen. Letzterer wirkt mit seinen Leuchtaugen im Dunkel zuweilen wie der zweifelhafte Bruder von Thomas der kleinen Lokomotive. Wie Ruth Brauer-Kvam verrät, erschien ihr das Libretto beim Lesen so albtraumhaft, dass die Geisterbahn ihre erste Idee war. Schlüssig, aber wenig originell. Viel spannender ist, wie der Raum hinter der Bühne bespielt wird, den man nur durch die geöffneten Tore zu sehen bekommt: ein nebliges Reich, aus dem die geborenen Seelen kommen und die verstorbenen zurückkehren. Das Leben als gruseliges Intermezzo auf Erden. Die Kostüme (Alfred Mayerhofer) sind epochengerecht. Lediglich Anna darf anders als ihre Mutter lässiger und in Hemd und Hose die Epochen durchschreiten. Alma legt häufig ihr Kleid ab, um darunter ihren ‚bloßen‘ Körper zu zeigen: eine Stoffattrappe, die am Anfang eine alte, schlaffe Frau zeigt und die sich zusehends verjüngt.

Sängerisch und darstellerisch zeigt sich das Ensemble der Volksoper von der besten Seite. Anette Dasch setzt die körperlichen Anforderungen an Alma mit Energie um und beherrscht die Szene auch musikalisch von trockener Direktheit bis in die emotionalen Ausbrüche. Annelie Sophie Müller statt einen charakterlichen Kontrapunkt als Anna, positioniert sich selbstbewusst und locker. Leider muss sie ständig an den Meisel zurück und an Gustav Mahlers überlebensgroßer Büste werkeln, wenn sie szenisch nicht gebraucht wird. Lauren Urquhart (Manon), Countertenor Christopher Ainslie (Martin) und Koloratursopranistin Hila Baggio (Das Ungeborene) glänzen stimmlich und schauspielerisch als todgeweihte Kinder. Auch die Herren Josef Wagner (Gustav Mahler), Timothy Fallon (Franz Werfel) und Martin Winkler (Oskar Kokoschka) legen sich ins Zeug, um die individuelle Kaputtheit der Liebhaber zu porträtieren. Walter Gropius wird vom Tänzer und Choreografen Florian Hurler in entsprechend zackiger Geradlinigkeit getanzt, wenn auch seine Bühnenzeit nur von kurzer Dauer ist. Heimlicher Star der Premiere: Victoria Schnut aus dem hauseigenen Kinderchor, die als Maria in Gustav Mahlers Armen plötzlich verstirbt und emotionale Momente im Publikum auslöst.

Gerne wieder

Ella Milch-Sheriff wünscht man, dass ihr Werk bald auch an anderen Häusern nachgespielt wird. Ihre Alma ist hörenswert, sie ist auch zugänglich für das Publikum und beleuchtet auf differenzierte Weise die höchst widersprüchliche Person von Alma Mahler-Werfel mit der richtigen Portion Verstand und Gefühl. Die antisemitische Hitler-Verehrerin Alma floh im Übrigen mit ihrem jüdischen Mann Franz vor dem Antisemitismus aus Europa.