Puppentheater? Sammelkritik zu Barbie
Feministisches Manifest oder pinkgewaschener Marketing-Coup? Meinungen aus der Bohema-Redaktion.
Reject false dichotomy, embrace the pink option?
Das Blockbuster-Kino befindet sich zur Zeit in einem tonalen Zwiespalt, zumindest fühlt es sich so an. Komplette Ernsthaftigkeit auf der einen und formelhafter Humor auf der anderen Seite, nur verbunden durch fehlende Selbstironie, um der etablierten Marke nicht zu schaden. Ein Film wie Barbie, der seine Satire aus Ästhetiken der Reproduzierbarkeit, des Kitsches und der Plastizität zieht, wirkt dagegen schon fast wie Pop-Art. Ein wunderbar bunter, gezielt alberner Kommentar inmitten von Sepia-, und Blaufiltern.
Und dennoch stellt sich die Frage, wie subversiv Pop-Art wirklich sein kann, wenn sie in Zusammenarbeit mit einem Massenkonglomerat, hier Mattel entsteht. Denn schließlich werden in Barbie nicht nur die aktuelle Filmlandschaft und sexistische Strukturen aufs Korn genommen, sondern auch die Marke Barbie an sich. Selbstironie wird zur, zugegeben sehr erfrischenden, aber dennoch penetranten Marketingstrategie. Und dementsprechend bleibt trotz all den transgressiven Entscheidungen, die Barbie von anderen Blockbustern abhebt, die Hoffnung auf einen Film, der ähnlich schön und lustig und erfolgreich sein kann, ohne parallel von den Grenzen der Franchisebestätigung zurückgehalten zu werden.
Fabia Wirtz
Ein Monolith aus Plastik
Gretas Gerwigs Film ist bunt, quietschfidel und wichtig, vor allem in Bezug auf den Erfolg eines Blockbusters einer weiblichen Filmemacherin. Der Humor, insbesondere auf der Meta-Ebene, ist prächtig und der Film lehnt sich bei gewissen Themen so weit aus dem Fenster wie möglich. Hierbei muss man aber auch bedenken, dass Gerwig einige Auflagen und Rahmenbedingungen von Mattel befolgen musste. Das erklärt, warum sich der Film doch auch mehr auf Ken fokussiert als auf die Titelfigur.
Nicht nur die Eröffnungsszene ist intertextuell mit 2001: Odyssee im Weltraum verbunden, sondern auch das Ende. Die brillante und unerwartete Schlusspointe ist nicht nur überraschend, sie ist auch das Pendant zum Ende aus Stanley Kubricks Meisterwerk. Barbie erlangt analog zu 2001-Protagonist Bowman die nächste Stufe der Evolution. Sie muss nicht mehr als Monolith die Geschicke der jungen Mädchen lenken, sondern kann das nun als Frau tun.
Bernhard Mairitsch
Kauf ich!
Klar, man kann sich darüber freuen, dass der wahrscheinlich erfolgreichste Blockbuster des Jahres von einer Frau gedreht wurde, wie man sich darüber freuen kann, dass es schwarze Marvel-Helden und Mädchenpuppen in allen Berufen gibt. Besser als nix – dennoch sollte man nicht vergessen, in welch marketingkapitalistischen Ebenen sich hier bewegt wird. Am Ende ist Barbie dann vor allem eine zeitgeistige, reibungslos gelungene Imagekampagne: die Mattel-Aktie steigt endlich wieder (wobei: dass die penetranten Birkenstock- und Chevrolet-Product-Placements notwendig waren, lässt fast um den Konzern bangen!) und alle machen fröhlich pink gekleidet mit. #feminism.
Sicher: zu erwarten, dass Barbie alle patriarchalen Probleme löst, wäre Quatsch. Dass der politische Anteil des Films aber dermaßen lauwarm daherkommt, enttäuscht dann doch. Vor allem, weil alles so lapidar weggelacht wird, dass am Ende nurmehr Schulterzucken bleibt. Barbie war schlecht für Frauen? OK, aber irgendwie ist sie doch auch Feministin, sei du selbst! Mattel-Gründerin Ruth H. hat in den 70ern Finanzbetrug betrieben? Ach, machen wir einfach einen Witz drüber und stilisieren sie dann als spirituelle Mentorin. Jede Selbstkritik wird eingehegt und glattgebügelt, lustig ist das nicht.
Dank ein paar guter Einfälle (Pferde, Gosling, …) als Komödie OK, als Konstrukt fragwürdig.
Anton Schroeder
Nein, Ryan Gosling stiehlt Margot Robbie nicht die Show
Perfekt gestylte Puppen, die je nach Anlass ihre Kleidung wechseln, immer lächeln und fröhlich sind und deren einzige Existenz sich auf die Fürsorglichkeit von kleinen Mädchen zurückführen lässt, deren Lebensaufgabe es ist, Mutter zu sein und… Feminismus. Das klingt im ersten Moment nach einer unmöglich utopischen Kombination. Doch Barbie ist erfrischend, überraschend gut und schafft diesen Sprung bravourös. Sogar ich, die ich als Kind eine Rosa-Hasserin und Anti-Puppen-Advokatin war, habe mich köstlich amüsiert. Einerseits ist das der cleveren Intertextualität von Greta Gerwig (und Noah Baumbach) zu verdanken, andererseits, weil der Film einfach unglaublich lustig ist.
Der Sexismus hinter der idealen Puppe wird infrage gestellt, das Patriarchat zu einer lächerlichen und temporären Antwort auf die Frage, wer „and Ken“ denn eigentlich ohne Barbie ist und Business-Männer zu einer Farce. Auf ihre liebenswerte und doch für ihre Prinzipien einstehende Art wird Margot Robbies Figur zu einer Feministin, die dem Bild der Konservativen von der „männerhassenden, linksliberalen, muskelbepackten Frau“ die Stirn bietet und zeigt, dass man alles sein kann, was man will. Auch wenn das Ende etwas klischeebehaftet ist (es ist ja immerhin eine ideale Welt), so kann man doch darüber hinwegsehen und Greta Gerwig zu diesem Erfolg gratulieren. Und hoffen, dass sie nun endlich einmal einen Oscar bekommt.
Lara Marmsoler
Gerwig 3.0 oder: Lack Demy
Greta Gerwig hat ihre dritte Evolutionsstufe erreicht. Während sie am Beginn der Reise ihrer Regie- und Schauspiellaufbahn vor allem dem extrem minimalistischen, improvisationsbasierten Mumblecore-Kino verschrieben war (Nights and Weekends) und sich zwischendurch mit Lady Bird sowie Little Women dem Low- bis Midbudget-Prestige-Kino widmete, bewegt sie sich nun endlich in den harten Kämpfen der Blockbusterarenen.
Und das erste Battle würde ich als gewonnen deklarieren: Barbie, der sich ästhetisch irgendwo zwischen den genialen Pastell-Musicals des französischen Filmemachers Jacques Demy (Les Demoiselles de Rochefort), dem Lego Movie und dem faszinierenden Schmonz der anderen Barbie-Filme bewegt, punktet mit aufschlussreichen Alltagsbeobachtungen und witzigen Pointen, die als kritische Treffer gewertet werden müssen. Interessant ist, dass Gerwigs Filmprojekt mit den wohl bisher größten externen Kreativitätseinschränkungen (weil Blockbuster) ihren mit Abstand unsubtilsten politischen Willen besitzt - auch wenn hier unangenehme Selbstinszenierungsversuche von Mattel als großer feministischer Vorreiter und andere kapitalistische Bauchschmerzbereiter ein wenig Damage anrichten. Insgesamt ist Barbie aber vor allem auf Humor- und Kreativitätsebene ein klarer Siegerfilm.
Es stellt sich also nur noch die Frage, ob Gerwig als Big-Studio-Director (nach eigenen Aussagen ihr berufliches Ziel) mit ihren geplanten Narnia-Filmen an die Spitze der Regieliga aufsteigen wird und dort der majestätische Löwe die Kraft ihres unbesiegbaren Marienkäfers erreichen kann!
Dominik Schwaab
Feminismus leicht erklärt
Barbie schafft es auf humorvolle Weise, die Grundzüge des Kapitalismus und des Patriarchats zu erklären. Durch vertauschte Rollenklischees und überspitzte Darstellungen von Ken und dem Mattel-Team verdeutlicht Greta Gerwig, wie lächerlich man die weiblichen Charaktere darstellen hätte können, ohne dass dies jemand irritierend gefunden hätte. Mithilfe von beeindruckendem Kostümbild und einem wahrhaft getroffenen Szenenbild taucht man voll und ganz ins “Barbieland” ein. So subtil die Geschichten der anderen Puppen neben Barbie eingebaut sind, so present ist der Auftritt von Ruth Handler, der Erfinderin. Ihr Charakter wird genutzt, um die feministische Motivation und die Wandelbarkeit von Barbie zu transportieren.
Trotz eindeutig gesetzter Kritik fragt man sich nach dem Film gerade deswegen, wie viel Doppelmoral Barbie in unserer Gesellschaft in sich trägt. Während Mattel sich selbst im Film kritisiert, kann man die explodierenden Zahlen an den Kinokassen beobachten und es kommt die Frage auf, wie viel davon Mattel in der echten Welt umsetzt und ob der Film nicht doch eine geschickt verpackte Werbe-Maschinerie ist. Gefördert wird der Gedanke durch die Betrachtung des PR-Budgets und die Frage, wie sehr das Team die hinter Barbie vermittelte Botschaft selber lebt.
Nichtsdestotrotz ist es auf jeden Fall eine gelungene Botschaft, die vor allem für die breite Gesellschaft tauglich ist, um die Grundgedanken des Feminismus und die Problematiken des Patriarchats und Kapitalismus zu erklären.
Lena Kerschbaummayr
Im Westen nichts Neues
Ständig wird in Barbie vom Patriarchat gesprochen. Dabei wird so getan, als würde männliche Hegemonie sich nur durch Cat-Calling, Mansplaining und schlechte Rockmusik ausdrücken. Finanzielle Abhängigkeit, Ausbeutung von Frauen in nicht-westlichen Ländern durch westliche Konzerne und unbezahlte Care-Arbeit werden als Wesensmerkmale einer patriarchalen Struktur völlig ausgeblendet.
Logisch, dass der Film diese Themen meidet – schließlich lässt auch Mattel die (echten) Barbiepuppen auf Kosten entrechteter Arbeiterinnen in China herstellen.
Am Ende ihrer „emanzipatorischen“ Reise assimiliert die Barbie im Film sich in der kapitalistischen Realität und wird damit unreflektiert Teil eines System, das weltweit Frauen unterdrückt. Emanzipation bleibt etwas westlich-individualistisches und vom Kapitalismus wird sich grundsätzlich nicht emanzipiert: Das letzte Wort über Barbies gesellschaftliche Rolle hat die Mattel-Gründerin.
Da retten auch Musicaleinlagen, Plastikkitsch und gute Schauspieler*innen nichts – in Barbie wird schlicht das Image eines Großkonzerns bereinigt.
Leon Michel