Brücken bauen

Über Kunst als gemeinsame Sprache: Ein Besuch im hinterland, welches sich auf den interkulturellen und interdisziplinären künstlerischen Austausch mit dem Mittleren und Nahen Osten mit Fokus Iran spezialisiert hat.

Bild: Ausstellungsansicht “Not A Typical Persian Girl” im hinterland. /// Bearbeitung: Aliza Peisker (c)

In der Mitte des Raumes steht ein kleiner, hölzerner Schreibtisch mit zwei sich gegenüberliegenden Stühlen, auf welchen Tyma Kraitt und Sakina Teyna Platz nehmen werden, um miteinander zu reden. Wir verteilen uns auf den Plätzen im Raum, welche drum herum angeordnet sind. Es werden Bilder an die Wand projiziert, auf welche sich alle Blicke richten. Mal wird beim Anblick der Projektionen geschmunzelt, mal gelacht, mal sieht man Staunen oder Bedrücktheit in den Gesichtern - dann ist es einen Moment lang still. Tyma und Sakina reden über die Bilder, diskutieren über das, was zu sehen ist und das, was sich dahinter verbirgt. Man fühlt sich, als würde man in einem Wohnzimmer sitzen, es herrscht eine Vertrautheit und Intimität, welche es leichter macht, sich gemeinsam den ausdrucksstarken Impressionen hinzugeben.

Ein Bild aus dem Protestarchiv des hinterland: “Two women with no hijab are kissing each other in the square during the current uprising.” /// Hinterland (c)

Impressionen von den Straßen in Bagdad und aus dem Iran. Frauen, welche ihr Kopftuch abnehmen, sich die Haare abschneiden. Graffiti, welche als kleine Zeichen des Protests Stadtbilder prägen. Kurdische Frauen, welche trotz der Verbote die Farben der kurdischen Flagge, rot, grün und gelb, im Garn ihres Schals eingearbeitet haben. Von stillen und lauten, kleinen und großen Handlungen des Protests und des Kampfes für Freiheit, Rechte und Gerechtigkeit.

Von außen mag zwar dran stehen, dass es eine Galerie sei, doch dies wird dem, was das im 5. Bezirk gelegene hinterland ist, wo das beschriebene Archivgespräch stattfindet, wohl schon nicht mehr gerecht. Die Begriffe einer interdisziplinären Plattform und eines Kunstraumes scheinen Gudrun Wallenböck, Gründerin und künstlerische Leiterin, inzwischen passender. Trotz der vielen Wandel und Veränderungen der Aufgaben und Projekte bleibt eines seit 2009 aber immer gleich: Der interdisziplinäre und interkulturelle Schwerpunkt auf den Nahen und Mittleren Osten mit Fokus auf den Iran.

Impression vom Archivgespräch #1 /// Foto: Jakob Lindner (c)

Die Kunstszene ist in diesen Regionen sehr lebendig und jung - Regionen geprägt durch Kriege, politische Einflussnahmen, geopolitische Konflikte und dem Kampf um Ressourcen, kurz gesagt trotz oft schwieriger (und viel zu oft maßgeblich von anderen Ländern wie den USA oder EU-Ländern mitverschuldeter) Verhältnisse.
Das hinterland versucht, Brücken zu bauen, um diese Kunstszene zu uns nach Wien und in andere Regionen der Welt zu transportieren, um mit Vorurteilen und Mythen aufzuräumen, kulturelles Verständnis und Austausch zu schaffen und um der Kunst und den Menschen eine Tribüne zu geben.
Hier ist Übersetzungsarbeit gefordert, weil Kunst nicht ohne ihre kulturellen, politischen und sozialen Kontexte zu lesen ist. Und genau da setzt das hinterland an, setzt auf Interdisziplinarität und Kunst als eine gemeinsame Sprache, welche universell verstanden werden kann. Wenn doch Wort und Text gebraucht werden, lässt sich in der stetig wachsenden Bibliothek des hinterland voll mit Büchern aus dem Nahen und Mittleren Osten stöbern.

Installation view der Ausstellung Not A Typical Persian Girl von Atoosa Farahmand & Oscar Hagberg, 2023 /// Foto: Jakob Lindner (c)

Gudrun Wallenböck erzählt mir, dass Improvisation und Vertrauen wichtige Faktoren bei der Realisation von Projekten im hinterland sind. So kann es vorkommen, dass Kunstwerke in Koffern von Künstlerinnen und Bekannten ihren Weg nach Wien finden, weil sich der Transport aus einem Land heraus als erschwert darstellt. Ebenso will das hinterland ein sicherer Ort zur Entfaltung für die Künstler, Sprecherinnen und Besuchenden sein; es ist mit Risiken und Mut verbunden, Zensuren und Oppressionen zum Trotze laut zu sein und auf Missverhältnisse, Konflikte und das Leid dahinter, aber eben auch auf die Kraft und den Willen von Menschen, welche sich dagegen auflehnen und trotzdem künstlerisch und/oder aktivistisch tätig sind, aufmerksam zu machen und darüber zu reden.

Aus dem Protestarchiv des hinterland: “Names of fourty-two kurdish people who got killed by the government between the date of 16th Nov 2022 till 21th Nov. Performative act by the students of the Fine Art University, Teheran. Their absence dedicating the space to those who were killed.” /// Hinterland (c)

Es braucht solcher Orte wie das hinterland, an welchen mitten in Wien die Geschichte, Kunst, Kultur und Gegenwart anderer Teile der Welt erfahrbar gemacht und Austausch ermöglicht wird. Auf die Frage, was sich Gudrun Wallenböck von den Besucher*innen des Hinterland wünscht, antwortet sie, dass Menschen mit Neugierde und Offenheit hereinkommen sollen, mit einem Willen, aufeinander zuzugehen, und sich engagieren, lernen zu wollen - schlichtweg die Brücken zu überqueren, welche hier gebaut werden.

Nächste Events im hinterland:
20.04., 19 Uhr: Vogelgespräch #3 Die Konferenz der Vögel ist politisch
26.04., 19 Uhr: Archivgespräch #4 Bodies that matter, gestures and performativity of the uprising / Körpereinsätze. Körper, Gesten und Performativität des Aufstands
04.05., 19 Uhr: Vogelgespräch #4 Rooster Booster - Die Konferenz der Vögel und ihr Widerhall in moderner iranischer Kunst

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