Der Finisher-Move
2006 schloss der Videospiel-Gigant „Rockstar Games“ seine Wiener Zweigstelle nach nur wenigen Jahren der Zusammenarbeit- verwickelt in Skandale, die bis heute für den Gaming-Diskurs relevant sind.
Die Geschichte von „Rockstar Games Vienna“ ist eine, die an vielen Stellen emblematisch für Probleme ist, die die Videospielbranche durchziehen: Instabile Arbeits- und Firmenverhältnisse auf der einen, Diskussionen rund um Gewaltdarstellungen auf der anderen Seite.
So beginnt sie mit dem kleinen Österreicher Independent-Studio namens „Neo Software“, welches nach seiner Gründung 1993 nicht lange Independent blieb, sondern recht schnell von einer größeren Firma aufgekauft wurde. Diese wurde kurz darauf wiederum von einer größeren Firma, namentlich „Take-Two/ T2“ aquiriert, zu der auch „Rockstar Studios“ gehört. Unter „T2“ arbeitete „Neo Software“ ab 2001 erst unter eigenem Namen, ab 2003 als offizielles „Rockstar Vienna“-Team daran, Teile der Hitreihen Max Payne und Grand Theft Auto für Konsolen zugänglich zu machen. Und so wurde es 2004 Zeit, zum ersten Mal nicht nur an Ports, also Übertragungen von Spielen auf bestimmte Konsolen, zu arbeiten. Stattdessen wurde Rockstar Wien für die Fortsetzung des im Vorjahr erschienenen Spiels Manhunt beauftragt . Doch was auf den ersten Blick wie ein Schritt in die weitere Etablierung der Wiener Zweigstelle als wichtiges Studio für den „Rockstar“-Konzern aussieht, scheint retrospektiv ein Projekt zu sein, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Was ist also das Problem mit Manhunt- und dementsprechend auch Manhunt 2?
Todschlag-Argument
„Killerspiel“ ist ein Wort, was durch Dekaden an Diskussionen jegliche Bedeutung verloren hat. Ein Totschlagargument über Todschlag. Ein Begriff, der durch Menschen genutzt wird, die den radikalisierenden Einfluss von Gewalt in der Kunst rigoros überschätzen, meistens entweder aus einer Perspektive der Ironie oder Ahnungslosigkeit. Und ein Wort, welches durch die Diskussionen rund um Manhunt nochmal ein Stück populärer wurde.
Dabei kann er doch auch erstmal beschreibend benutzt werden. Denn beide Manhunt-Teile sind, ohne erstmal über die soziokulturellen Implikationen dessen nachzudenken, nun mal Killerspiele. Insofern, dass man in beiden Spielen in die Rolle eines Mörders schlüpft, dass Töten die Hauptmechanik und das wichtigste Storymotiv darstellt. Im ersten Teil spielt man als James Earl Cash, zu Tode verurteilt, wohlmöglich exekutiert und anschließend durch eine nebulöse Vereinigung dazu gezwungen, andere Gangster für Snuff-Filme, sprich Filme, die reale Gewalt als Erlebnisgaranten haben, auf möglich spektakuläre Art und Weise umzubringen. Ansatzpunkte für zeitgenössische Skeptiker gibt es demnach viele: Das Eintauchen in Organisierte Kriminalität wurde bereits in Diskursen rund um GTA, absurd gesteigerte Mordszenen rund um Mortal Combat kritisiert. Dass ein Spiel, welches diese Aspekte miteinander kombiniert, als besonders kontrovers geahndet wird, überrascht nicht.
Darüber hinaus wurde Manhunt mit einem realen Mordfall unter Jugendlichen in Verbindung gebracht. Täter und Opfer, so wurde vermutet, hatten das Spiel an früherer Stelle gemeinsam gespielt. Diese periphere Verbindung war für den amerikanischen Anwalt und Aktivisten Jack Thompson genug, um gegen das Spiel vor Gericht zu gehen. Thompson hatte schon zuvor Spiele wie Doom oder GTA zum Inhalt seiner Kampagnen gegen Mediengewalt gemacht. Und auch wenn die Klage gegen Manhunt zurückgeschlagen werden konnte, geriet das Spiel international in Verruf. In vielen Ländern, wie den USA, wurde das Spiel unter den Auflagen des Jugendschutzes relativ schwer zugänglich gemacht. In anderen, darunter Deutschland, wurde Manhunt nie zum Verkauf freigegeben.
Diese Kontroverse scheint aus heutiger Sicht überzogen. Eine Überreaktion, die eher aus Unvertrautheit mit dem Medium Videospiel zu stammen scheint, als aus einer wirklichen Radikalisierungsgefahr. Und dieser Backlash wird noch merkwürdiger, wenn man sich das Spiel genauer ansieht.
Aufs Maul
Irgendwo ist Manhunt Satire. Die Tötungen werden durch den narrativen Rahmen, den Manhunt 1 anbietet, durchgängig hinterfragt. Denn wie schon erwähnt, wird der Protagonist durch einen nebulösen Auftraggeber zu seinen Taten gezwungen. Man schleicht als Cash gegen seinen Willen durch eine trostlose Spielwelt, in der nichts zu existieren scheint außer Müll, Grind und Kriminalität, und versucht, so lange den Blicken der Gegner zu entgehen, bis man sie in einem Überraschungsmoment möglichst filmreif niederstrecken kann.
Allein durch diese Struktur ist die Gewalt in Manhunt merkwürdig, und schwer mit anderen, ähnlich brutalen Spiele der gleichen Zeit zu vergleichen. Die eigenen Morde sind beinahe aufgebaut wie Pointen in einem Witz, gleichzeitig eine kurze Abwechslung und komplette Versinnbildlichung des Spieluniversums, welches in einem schwarzkomödiantischen Maße desolat ist. Und jedes Mal, wenn das Spiel kurz davor ist, in diesen Todessequenzen, die vom Spiel selbst als „Exekutionen“ bezeichnet werden, ludische Katharsis zu erzeugen, tritt Manhunt wortwörtlich mit sich selbst in Dialog, um den Spieler*innen das Gefühl von Selbstbestimmung zu nehmen. Zum einen, indem in Mordszenen ein stilistischer Bruch vorgenommen wird. Aus der üblichen Kamera aus dritter Person, wird in eine gewechselt, die in ihrer chaotischen Führung und dem pixeligen Filter einer Camcorder-Optik ähnelt. Die Message ist klar: in Momenten der Gewalt werden Spieler und Protagonist entmündigt, indem man an die antagonistische Vereinigung erinnert wird, die den wirklichen Spaß an der Darstellung von Brutalität hat. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass sich in Todesszenen sowie im Intro und Outro jedes Levels ein ‚Regisseur‘ per ‚Audiokommentar‘ einschaltet, der von James Earl Cash und somit auch von den Spieler*innen möglichst viel Gewalt einfordert.
Manhunt spricht sich demnach auf eine ähnliche Art und Weise wie Filme wie Saló oder Funny Games gegen Gewalt aus - es macht Gewalt und Trostlosigkeit durch ständige Konfrontation unerträglich und zeichnet Antagonisten, die ad Absurdum von Gewaltexzessen begeistert sind. Konsument*innen dieser Kunstwerke werden herausgefordert, sich nicht zu ideologischen Komplizen der Bösewichte zu machen. Man wird stattdessen dazu angehalten, sich Gedanken um den eigenen Umgang mit (fiktiver) Gewalt zu machen. Diese Prozesse geschehen in Videospielen natürlich nochmal unmittelbarer als im Film, da die eigenen Handlungen dafür verantwortlich sind, dass die Geschichte überhaupt erst stattfinden kann. Aber Manhunt ist ein derartig linear gestaltetes Spiel, dass man selbst zum Instrument verkommt, statt den Actionhelden zu mimen. Gen Ende stellt sich Cash zwar gegen den Regisseur und seine Handlanger, doch auch ist dies weniger ein Befreiungsschlag als die Fortsetzung eines Gewaltzyklus‘. Retrospektiv ist dieser Kommentar wahrscheinlich nichts bahnbrechendes mehr und scheint auch nach kurzer Beschäftigung mit dem Spiel recht offensichtlich.
Aber um eine Parodie zu erkennen, muss erstmal ein parodierbarer Kanon kreiert werden. Und wenn man in die frühen 2000er zurückblickt, ist dieser, insbesondere bei einem relativ jungen Medium wie dem Videospiel, schwer zu erkennen. Vor allem für Außenstehende, die dem Konzept von spielbarer Gewalt von Vornherein kritisch gegenüberstehen.
Exekution
Unter diesen Umständen wird klar, warum die Produktion von Manhunt 2 ein wenig dankbares Projekt für „Rockstar Games Vienna“ war. Das erste Spiel war durch Verbote und Kontroversen zwar zu einem Kulthit geworden, im Mainstream jedoch schwer zu vertreiben. Und schon vor der Veröffentlichung des zweiten Teils häuften sich kritische Stimmen. Doch bevor das Spiel fertig gestellt werden konnte, wurde die Wiener Zweigstelle, zu dem Zeitpunkt die einzige Division außerhalb eines englischsprachigen Landes, aus Kostengründen geschlossen und das Projekt an Teams in London, Toronto und Leads weitergegeben. Obwohl zu dem Zeitpunkt der Schließung die Produktion von Manhunt 2 seit über einem Jahr in Gange war, wird die Mitarbeit von Rockstar Wien weder im Abspann noch in sonstigen Begleittexten erwähnt. Und um dem Chaos rund um die Manhunt-Reihe die Krone aufzusetzen, ist Manhunt 2, vermutlich auch durch das Fehlen einer einheitlichen Vision, ein so unfokussiert wirkendes Werk, dass viele der unberechtigten Kritikpunkte der Stumpfheit gegenüber des ersten Teils auf den zweiten tatsächlich zutreffen.
Die Stealth (also Schleich-)- Sequenzen, die im ersten Spiel einen interessanten Kontrast zu den blutigen Exekutionen darboten, werden hier immer häufiger durch klassische Action-Shooter-Fragmente ersetzt, die auch schon im ersten Teil eine Schwäche darstellten. Audiokommentar ist immer noch da - nur ohne subversive Wirkung. An die Stelle des Regisseurs als antagonistische und metatextuelle Kraft tritt eine Stimme, die sich im Verlauf des Spiels als die zweite, gemeinere Persönlichkeit des Protagonisten herausstellt. Gewalt wird hier nicht als strukturelles, zyklisches Problem beschrieben, sondern als etwas, was Menschen passieren kann, als Pech, oder als Mittel zum Zweck. Auch, wenn das Spiel gen Ende versucht, Systemkritik durch das Erwähnen von Armeeexperimenten und Propaganda zu üben, kommt dies durch die bis dato fehlende Reflexivität dermaßen aus dem Nichts, dass der Versuch flach fällt. Wo Manhunt 1 Satire ist, fehlt Teil 2 die Selbstironie.
Ausbluten?
Heißt das, dass Manhunt 2 die Jugend verroht, und die diffamierende Auslegung des Wortes Killerspiel verdient hat? Dass die Endqualität des Spiels ein Indiz für die Überflüssigkeit von der Wiener Zweigstelle für den Rockstar-Konzern war? Nein, definitiv nicht. Auch wenn der Fall mittlerweile fast 20 Jahre alt ist, hat er seitdem nur an neuer Relevanz gewonnen.
Das Aufkaufen von kleinen Studios und das dadurch entstehende Wachsen von Kulturmonopolen und instabilen Arbeitsbedingungen unter Riesenkonzernen wie „TakeTwo“ ist mittlerweile ein nur noch größer werdendes Phänomen geworden. Um aktuelle Beispiele dafür zu finden, muss man nur ein paar Wochen zurückschauen. Anfang Mai kündigte „Bethesda“, unter anderem bekannt für die Elder Scrolls und Fallout-Reihen an, vier seiner Tochterstudios zu schließen. Und „Bethesda“ gehört zu X-Box, die wiederum zu Microsoft gehören. Aufzuzählen, wie viele populäre Videospiel-Marken Microsoft unterliegen, wäre obsolet. Auch das Auslassen von eigentlich zustehenden Credits und Arbeitsbescheinigungen ist ein Phänomen, welches die Branche nach wie vor plagt - vor allem, wenn Mitarbeitende vor Beendigung eines Spiels entlassen werden oder den Arbeitsplatz wechseln.
Darüber hinaus ist die Debatte rund um „Killerspiele“ zwar leiser geworden, die Rhetorik, die in dieser genutzt wurde, jedoch keinesfalls. Der bereits erwähnte Anwalt Jack Thompson zog beispielsweise nicht nur wegen Gewalt in Videospielen vor Gericht, sondern hatte zahlreiche weitere Anliegen. Aus einer selbsternannten Mission heraus, Kinder von Inhalten fernzuhalten, die von ihm als vulgär eingestuft wurden, beinhaltete sein Feldzug ebenfalls Beschwerden gegen mediale Darstellungen von Sex, Schimpfwörtern und Queerness. Und diese reaktionäre Methode, unter dem Vorwand des Jugendschutzes die Möglichkeiten der Selbstexpression für Menschen aller Altersstufen einzuschränken, ist leider noch aktueller, als die schlechten Arbeitsbedingungen in der Videospielbranche.
Manhunt 1 ist kein perfektes Spiel. Viele Aspekte sind schlecht gealtert, andere waren vielleicht schon beim Release fragwürdig. Trotzdem zeigt uns das Spiel ein weiteres Mal, dass auch Kunst, die auf den ersten Blick chaotisch, sinnentleert und hässlich scheint, nicht per se als vulgär abgeschrieben oder verboten werden darf. Vor allem, weil die Etablierung von solchen Gesetzten sich nicht lange auf die Entschärfung von Gangsterspielen oder Shootern, hergestellt durch Milliardenkonzerne, beschränken würde, sondern früher oder später vor allem Kunst von finanziell und gesellschaftlich schwachen Gruppen trifft. Die Geschichte um Manhunt 2 und Rockstar Wien ist hingegen ein Beispiel dafür, was mit Kunst und Kunstschaffenden passieren kann, wenn sie in hochbürokratisierte und kommodifizierende Systemen eingebunden werden, und Kreation außerhalb von Monopolen zu einer immer unwahrscheinlicheren Möglichkeit wird.