La Cocina: von Träumen und anderen Ungeheuern

Von Kampf und Kluft. Vom Kapital. Vom Ringen und Scheitern. Von klammen Kassen – von Chaos bis Kollaps.

© Filmladen

„This is the heart. Right here, Times Square.“
Du befindest dich im Backstage der Zivilisation, den Triebwerken der New Yorker Gastro, in der Küche des „The Grill“. In der einen Hand hältst du die Estelas und in der anderen hoffentlich ein Getränk, denn die nächsten zwei Stunden sind zugetaktet mit Kochen, Putzen, Fluchen.

Willkommen in „La Cocina“!

Estela wird gleich ihren Job als Köchin erhalten. Pedro heißen ihre Papiere, der ihre einzige Verbindung nach New York ist. Beide stammen aus Mexiko und sind damit ideale Beute der Arbeiterklasse und Gefangene des US-amerikanischen Kapitalismus. Estelas Schicht beginnt mit der Zubereitung des Lunchs gefolgt von einem Crashkurs in Sozialdarwinismus. Träume von einem besseren Leben, von Heimat und Zugehörigkeit haben alle, doch wie viele freie Plätze zählt das American-Dream-Verwirklichungskomitee wirklich?

Genügend im Albtraum-Abteil: Gastroküche.

Hier erzählt ein kleiner Drucker durch reges Surren von einem gefüllten Lokal. Es werden volle gegen leere Teller abgewechselt, doch das eigentliche Geschäft wird mit den Träumen betrieben. In jeder Bestellung steckt ein banaler Wunsch, doch mit keinem zubereiteten Lobster kommt Pedro seinem Traum von Wohlstand und Familie näher. Dabei war er es, den sein Traum ins „The Grill“ führte – nicht der des Tourist, der einen Lobster verlangt. Doch der Tourist finanziert Pedro, der mit seinen Träumen bezahlt. Sie sind der Treibstoff der Maschinerie – sie entwerfen Auswege und machen die harte Realität erträglicher. Pedro hofft auf ein Kind, das in der US-Amerikanerin Julia heranzuwachsen beginnt und Julia auf das Geld der Abtreibung. So wird ein Fötus zur Möglichkeit einer legalen Aufenthaltserlaubnis und damit minus 800 € günstig. Genau die Summe, die ausgerechnet aus der Kasse fehlt und das Tagesgeschäft in eine Crime-Scene verwandelt.

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Hinter den Kulissen ist vor den Fassaden.

La Cocina bringt, genauso chaotisch wie am dargestellten Tag, verschiedene Aspekte und Szenen einer benachteiligten Gesellschaftsschicht zusammen. Inmitten von Liebestragödie, der Suche nach dem Dieb und viel Schikane geht es worum nochmal? Um Time und Squares? Das Geschäft mit den Träumen? Oder um volle Teller und traurige Essensreste?

Wahrscheinlich um alles ein bisschen und nichts so wirklich, so wie im echten Leben. Der Alltag funktioniert, weil er funktionieren muss. Am effizientesten ohne große Gefühle. So bleiben die Figuren Symbole ihrer sozialen Probleme und halten sich auf Distanz. Wir zweifeln an der Aufrichtigkeit Pedros Liebe, Julias Unantastbarkeit und der Stärke Estelas. Und wo Zweifel ist, findet selten Empathie statt.

Die Fronten bleiben geklärt

Der Kinobesucher hat Papiere und die Zeit. Er gehört nicht in die Küche, sondern ins Lokal, aus dem er wie ein Spanner auf ein Problem im System späht. Selbst in der Finsternis des Saals wird ihm kein Rollentausch angeboten. Aber sollte sich nicht ein Spielfilm von einer Dokumentation in genau diesem Figurenspiel unterscheiden? Sollte nicht jeder Film ein Trip aus der eigenen Haut sein? Eine Reise, die über die eigene Vorstellungskraft hinausgeht?

Mich wunderte es daher wenig, als ich in meinen Recherchen herausfand, dass La Cocina neben dem Theaterstück The Kitchen auf der persönlichen Geschichte des Regisseurs Alonso Ruizpalacios aufbaut. Werke, die nicht aus den Tiefen der Vorstellungskraft stammen, finden selten den Schlüssel zum emotionalen Verständnis. Wer sich nicht selbst austricksen muss, schafft es auch nicht bei anderen.

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Trotzdem genoss ich jeden Moment, den ich im „The Grill“ verbringen durfte, denn die visuelle Gestaltung fesselt und überzeugt. Die Entscheidung zur Schwarz-Weiß-Optik gibt dem Film seine Färbung, statt sie einzubüßen. Genauso brillant zeigte sich die Kameraführung, die besonders durch die Plansequenz und den Verzicht auf Schnitte einen One-Shot Effekt erzeugt und das Küchentreiben ins Kino transportiert. Wäre dem Regisseur das Gleiche mit der Story und den Emotionen gelungen, dann … dann wäre diese Kritik wohlmöglich schrecklich verweichlich und missverständlich durch meine persönliche Nähe zum Werk.

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