Nicht von dieser Welt

Wie sich das Belcea-Quartett mit Schuberts Tod und das Mädchen meiner Meinung nach das Recht auf den Aufstieg in den Olymp verdient hat. 

Egon Schiele: Der Tod und das Mädchen /// Wikimedia (c)

Das Belcea-Quartett: Corina Belcea, Axel Schacher, Krzysztof Chorzelski und Antoine Lederlin. Das Gefühl, alle vier Musiker ausdrücklich beim Namen nennen zu wollen, rührt von dem immensen Respekt, den ich für dieses Ensemble hege: die Arbeit, die sie leisten, die unermüdliche Neugier und das Verlangen, die Musik immer tiefer zu ergründen, resultieren in fast ohnmächtigen Emotionen im Publikum. Selten bin ich sprachlos nach Musik; heute fehlen mir tatsächlich die Worte, die wertvoll genug wären, diese Erfahrung zu beschreiben.

...nichtsdestotrotz versuche ich es natürlich trotzdem, was wäre sonst der Sinn dieser Kritik (kann man es überhaupt noch eine Kritik nennen, wenn man alles hochpreisen möchte?).

Vollkommen, aber nicht vollzählig 

Am Anfang des Abends heißt Antoine Lederlin das Publikum persönlich willkommen, um es darüber zu informieren, dass heute ausnahmsweise (ausdrücklich betont) aufgrund eines Unfalls ein Mitglied ersetzt werden musste: der Bratschist Krzysztof Chorzelski. Stattdessen musiziere der junge Grégoire Vecchioni. Nach einem kurzen Raunen durch den Saal betreten die vier Streicher der Bühne und bieten uns ein Spektakel, das unvergleichlich ist.

Das Mädchen:
 Vorüber! ach, vorüber!
 Geh, wilder Knochenmann!
 Ich bin noch jung, geh Lieber!
 Und rühre mich nicht an.

Der Tod:
 Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!
 Bin Freund, und komme nicht zu strafen.
 Sei gutes Muts! Ich bin nicht wild,
 Sollst sanft in meinen Armen schlafen!

Matthias Claudius, Der Tod und das Mädchen 1774

Die Idee des Tods und des Mädchens war immer schon sagenumwoben und dramatisch. Das Motiv der jungen Frau in den Händen des Sensenmanns war eine Sensation der Inspiration für viele Künstler*innen aus allen Genres, voller Mystik und Erotik. Franz Schubert vertonte zunächst Matthias Claudius Gedicht und sieben Jahre später verarbeitete er das Thema in seinem Monstrum von Streichquartett. Ein zutiefst emotionales, schauriges und gleichzeitig berührendes Stück welches einen tiefer als tief bewegt - Schubert halt.

Genau so hat das Belcea-Quartett die Seele des Komponisten umgesetzt. Nicht mit Gehabe und theatralisch ernsten Gesichtern – mit einer Leichtfüßigkeit und Eleganz, welche solch eine Innigkeit beinhaltet, dass einem die Tränen jeden zweiten Takt hochsteigen. Vor allem im Variationssatz war die Kommunikation und – anders kann man es nicht sagen – Liebe zwischen den Musikern und zu dem Komponisten so greifbar, dass man ein kollektives schweres Schlucken am Ende dieses Satzes im Publikum wahrnehmen konnte. Die anderen drei Sätze lassen natürlich in Qualität nicht nach; der Schlusssatz beeindruckte mit der individuellen und kollektiven Virtuosität. Gänsehaut ist zu banal, um zu beschreiben, in was für einem Zustand die ZuhörerInnen in die Pause gingen; benommen und surreal trifft es schon eher.

Warum Quintett, wenn man noch ein Quartett spielen könnte? 

Der zweite Teil des Abends brachte Antonín Dvořáks berühmtes Klavierquintett in A-Dur, auch bekannt als Dumka (nach der Bezeichnung des zweiten Satzes mit der bekannten Dumka-Melodie der Bratsche). Mit Alexander Melnikov am Flügel wurde auch hier in Tragik und Schönheit nicht nachgelassen. Leider verblassten der Pianist und diesmal auch Vecchioni auf dem Hintergrund der Belceas. Der Bratschist gab sich etwas schüchtern und nicht präsent genug (auch wenn dies verzeihlich ist, wenn man mit Corina Belcea auf der Bühne sitzt) und Melnikov - obwohl mit großem Klangumfang und schönen Linien – auf gut wienerisch gesagt schlampig. Und damit sind nicht einmal technische Aspekte gemeint (obwohl auch da etwas zu bemerken wäre), sondern das Ensemblespiel. Wie gesagt - mit solch einem Quartett kann man jedoch fast nichts verderben. Das Quintett strotze trotzdem vor Momenten, in denen einem das Herz in die Hose rutschte. Jedoch hätte ich das erste Streichquartett in c-moll von Johannes Brahms, welches sie am Vorabend in Berlin wiedergaben, vorgezogen.

Unantastbar 

Nach gefühlt fünfzig Versuchen, zusammenzufassen, warum das Belcea-Quartett so fantastisch ist, muss ich mich damit zufrieden geben, wortlos zu bleiben. Es gibt tatsächlich keine Beschreibung für das, was sie auf der Bühne und im Saal heute zum Leben erweckt haben. So wie der Tod in Schuberts Lied personifiziert wird, wirkt das Ensemble mit der Ruhe und Zuneigung, die sie zueinander und zur Kunst ausstrahlen als eine Personifizierung Apollons. Menschen mit Göttern zu vergleichen ist vielleicht zu hoch gegriffen, aber falls Zeus sie mal für ein Neujahrskonzert engagieren würde, wäre ich nicht überrascht.

Das nächste Mal kann man die vier am 6. und 7. Mai im Wiener Konzerthaus zusammen mit Quatuor Ébène als Oktett sehen – save the date!

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