Warum gibt es eigentlich Pausen?!

Ein kontrastierendes Konzertprogramm mit überraschender Kehrtwende ,nach der Pause‘ – Arvo Pärt und J. S. Bach im Programm des Wiener Staatsballetts.

Oh Yeah /// Wiener Staatsballett/Ashley Taylor (c)

Dass das Ballett einen völlig neuen Zugang zur musikalischen Leidenschaft hervorbringen kann, der besonders viele Menschen in den Zuschauerraum lockt, zeigt schon die vollständig ausverkaufte Wiener Staatsoper am vergangenen Freitagabend. Das Doppelkonzert Tabula rasa für zwei Violinen, Streichorchester und präpariertes Klavier von Arvo Pärt trifft in der zweiten Hälfte auf die kontrastierende barocke Leichtigkeit von Johann Sebastian Bachs Goldberg Variationen für Soloklavier. Durch die Aufführung als Ballett entsteht nicht nur eine spannende Verbindung zwischen Musik und Tanz, sondern auch ein roter Faden zwischen Vergangenheit und Gegenwart, der sich durch den gesamten Abend zieht. 

Choreographie im Einklang mit der Musik?

Dennoch bin ich zunächst irritiert. Bei der ruhigen und meditativen Atmosphäre von Arvo Pärts Doppelviolinkonzert würde man die langen, schwebenden Töne und die minimalistische Struktur der Musik eigentlich eher mit filigranen Tanzbewegungen von wenigen Tänzerinnen und Tänzern in Verbindung bringen. Stattdessen präsentiert sich auf der Bühne eine große Gruppe von Tänzer*innen, die den ersten Satz "Ludus" eher mit energischen Bewegungen zum Ausdruck bringt – der meditative Ausdruck des Satzes geht verloren. Sieht man in das Programmheft, widersprechen die Erklärungen diesem Eindruck. Choreograph Ohad Naharin spricht hier ganz explizit davon, dass durch das Erlernen von Gaga, einer besonderen Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper und Geist, Tänzerinnen und Tänzer lernen konnten, „alte Ideen für neue und bessere aufzugeben“ und dadurch Pärts Intensität wie einen „Herzschlag für die Tänzer*innen“ wiedergeben zu können.

Farbige Alltagsklamotten bei Pärt /// Wiener Staatsballett/Ashley Taylor (c)

Doch auch im zweiten Satz kommt die Choreographie an ihre Grenzen der Musik ihren vollen Ausdruck zu verleihen. Langsamen Schrittes bewegen sich die Tänzer*innen in wiegenden Bewegungen von der rechten Bühnenseite zur linken. Zunächst hat man das Gefühl, der Charakter des Satzes „Silentium“ wird in die stagnierenden Bewegungen der Tänzer*innen perfekt übernommen. Doch auch hier verwirrt die Choreographie gegen Ende. Während die Musik in ihrem Charakter verweilt, brechen drei Tänzer*innen aus der Choreographie aus und bestreiten den Weg nicht in Seitwärtsbewegungen weiter, sondern erstarren und tanzen schließlich zu dritt. Doch nicht nur die Musik, auch die Pausen scheinen fehl interpretiert geworden zu sein. Arvo Pärt sagte einst selbst: „Im Idealfall ist eine stille Pause etwas Heiliges … Wenn jemand der Stille mit Liebe begegnet, dann kann daraus Musik entstehen.“ Doch die Tänzer*innen tanzen sowohl zwischen den Sätzen als auch in kurzen Pausen weiter. Die Stille in der Musik wird in Bewegungen interpretiert.

Warum Pausen? Um danach von einer Kehrtwende überrascht zu werden!

Die Goldberg Variationen mit ihren unterschiedlichen Tempi, Stimmungen und Stilen bieten eine einzigartige Choreographie, die vom energiegeladenen Tanz bis hin zu zarten und lyrischen Momenten der großen bach’schen Vielfalt tänzerischen Ausdruck verleiht. Während die Aria von der gesamten Gruppe auf beeindruckende Weise als schwarze Schatten auf der Bühne eröffnet wurde und am Ende in der Aria da capo in weißen Kostümen schloss, wurden die verschiedenen Variationen immer nur in kleinen Tänzer*innengruppen von ungefähr jeweils zwei bis vier Tänzer*innen in jeweils unterschiedlich farbigen Kostümen getanzt. Die Variationen bekamen dadurch einen vorgegebenen Rahmen und die Zuschauenden wurden in die Welt von Johann Sebastian Bach durchgehend choreographisch begleitet, wodurch sich die anfängliche Skepsis gegenüber der choreographischen Interpretation in der zweiten Hälfte des Konzertabends legen konnte.

Bach ganz in Weiß /// Wiener Staatsballett/Ashley Taylor (c)

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