Durchschnittliches und Entbehrliches
Die Camerata Salzburg und Geiger Renaud Capuçon mit einem Abend im Konzerthaus, der nicht in Erinnerung bleiben wird.
Warum setzen sich gewisse Werke im Kanon des Konzertbetriebes durch und warum andere nicht? Sind die bekannten Werke wirklich die besten oder gibt es auch außerhalb des gängigen Repertoires ebensolche Qualität, die nur darauf wartet, entdeckt zu werden? Und sind die Prozesse, wie ein Werk zu einem classical superhit wird, möglicherweise sogar Zufall oder Produkt von Imagekampagnen und Moden? Sicherlich auch. Doch der gestrige Abend ließ mich doch auch wieder an erstere Annahme glauben. Die Camerata Salzburg bot nämlich zwei Werke am Programm auf, die - zumindest in dieser Form - definitiv nicht zum Repertoire des internationalen Konzertbetriebs gehören.
Eröffnet wurde der Abend mit Mendelssohns Streichersymphonie Nr. 4 in c-Moll, geschrieben in 1821. Dass dieses Studienwerk des erst 12-jährigen Felix Mendelssohn-Bartholdy nicht zu vergleichen ist mit seinen späteren, richtigen Symphonien oder solchen von anderen Repertoirefixsternen, ist selbstverständlich. Mendelssohn probiert sich hier in der Nachahmung seiner großen Vorbilder, Anklänge an Mozart, Rossini, Bach etc. bei manch nettem melodischen Einfall sind klar nachzuvollziehen. Dass man bis in die 1960er von diesen frühen Streichersymphonien zwar wusste, sie aber nie im Konzert darbot, mag aus heutiger Sicht zwar überraschen, aber ob man sie nun häufiger spielen sollte, ist eine andere Frage. Dennoch: Die Ouvertüre zum Auftakt eines Konzertes als Ort zum Ausprobieren - durchaus berechtigt.
Aufgeregtes Herumgockeln statt Dirigat
Als Zweites dann Mozarts letztes Violinkonzert in A-Dur KV 219 mit dem französischen Geiger Renaud Capuçon als Solisten. Dieser wippte, Geige und Bogen in den Händen, während der orchestralen Einleitung aufgeregt vor dem Orchester herum, dirigieren war das kaum zu nennen. Dass er auch in Folge keine noch so kurze Pause der Solostimme ausließ, um vor dem Orchester herumzugockeln, wirkte albern, wissen die Musiker der Camerata doch auch allein bestens, wie man Mozart spielt.
Capuçons Geigenspiel war da überzeugender, wenn auch für heutige Ohren etwas altmodisch. Viel Vibrato, Portamenti und ein dicker, satter Ton erinnerten eher an einen Geiger des vergangenen Jahrhunderts. Was nicht unbedingt schlecht sein muss - schön war der Klang seiner Guarneri ja. Und auch durchdringend. In den Kadenzen hatte er keine Mühe, den großen Saal zu füllen. Das Zusammenspiel mit dem Orchester funktionierte aber auch ohne große Gesten. Momente wie die Dopplung der Oboen und der Sologeige im ersten Satz gerieten sehr schön. Und weil es so schön war, gab’s als Zugabe den dritten Satz ab dem „alla turca“-Mittel gleich noch einmal.
Die Enttäuschung des Abends kam erst noch...
Nach der Pause allerdings die Enttäuschung des Abends. Schuberts vielleicht berühmtestes Streichquartett in d-Moll, „Der Tod und das Mädchen“, arrangiert für Streichorchester von niemand geringerem als Gustav Mahler. Dieser bearbeitete das Werk in seiner Hamburger Zeit mutmaßlich, um als Dirigent (und außer dem Klavier keines Instruments mächtig) dieses von ihm geliebte Stück aufführen zu können. Wobei ich beim ersten Punkt wäre. Es fehlte der Dirigent. Denn mangels eines solchen mangelte es bei der Camerata an einer stringenten, sinnvollen Tempodramaturgie. So gerieten die meisten Stellen zu flott und dadurch weniger akkurat.
Was das grundsätzliche Problem nur noch mehr unterstreicht: Ein Orchester kann niemals so genau und mit einer solchen Präzision spielen, wie ein Streichquartett. Dieses ist ja bekanntlich die schwierigste kammermusikalische Formation. Jede Stimme steht gleichberechtigt für sich und ergibt doch ein Ganzes. Wenn man nun jede Stimme von sechs Geigen, vier Bratschen usw. spielen lässt, gehen unglaublich viele Feinheiten, wie sie ja auch in Schuberts Partitur zu finden sind, verloren. Das Ganze wird verwaschen und verwässert.
Immerhin mehr Basspower
Im herrlichen langsamen Satz klangen die ersten Geigen bei ihren hohen Kantilenen so unsauber, dass es mir schwerfiel, die Musik, die ich liebe, zu genießen. Die Camerata klang teils wie ein Schulorchester. Da sie das erwiesenermaßen nicht ist, beweist mir der gestrige Abend vielmehr, dass man Streichquartette nicht im Orchester spielen sollte. Gewiss, Mahlers Bearbeitung hat auch etwas für sich. Die Kontrabassstimme zum Beispiel. In vollen Akkorden wie zu Beginn des ersten Satzes, ist es geil, mehr Bass schrummen zu hören. Alles in allem gewinnt das Arrangement aber bei weitem nicht so viel dazu, wie es im Vergleich zum Original verliert. Es möge bitte wieder in die Mottenkiste wandern.